Der Geheimnistraeger
während der drei Tage währenden Besetzung getan
habe. Ihre Antwort war lang und ausführlich. Sie erzählte von den drei maskierten Männern in der ersten Nacht, von denen sie zwei erschossen und dem dritten die Kehle durchgeschnitten hatte, von den Molotowcocktails und dem Panzerwagen und von den Schüssen auf den fliehenden Panzerkommandanten und auf den maskierten Mann vor dem Hotel.
Skov schwieg während ihres gesamten Berichts. Noch nie hatte er etwas Derartiges vernommen. Er fasste ihre Antwort zusammen und fragte, ob es wirklich möglich sei, dass sie acht Terroristen ganz alleine getötet habe. Lydia bestätigte die Zahl, ohne mit der Wimper zu zucken. Als er fragte, ob sie mit jemandem zusammengearbeitet habe, lautete die Antwort ganz eindeutig nein.
Skov fragte sie nach den Gründen für diese Taten. Lydia antwortete, die Männer hätten die Stadt geschändet und außerdem eine tödliche Bedrohung für ihre Bewohner dargestellt. Skov bat sie, ihre persönlichen Motive zu erläutern. Lydia sagte, es habe außer den Gründen, die sie bereits erwähnt habe, keine anderen gegeben.
Vincent Paulsen? Was er gewusst habe? Lydia antwortete, überhaupt nichts. Sie hätten weder über ihre Taten noch über seine Arbeit als Polizeibeamter gesprochen.
Anschließend versammelten sich Skov, Terfig und Reichspolizeichef Thord Henning in Hennings Büro. Skov und Terfig referierten den Inhalt der Verhöre.
»Und was glaubt ihr?«, fragte Thord Henning.
»Ich würde gerne glauben, dass Paulsen die Wahrheit sagt«, meinte Skov. »Er war zumindest indirekt daran beteiligt, eine Person zu verstecken, die sich unerlaubt im Lande aufhielt, aber das ist in diesem Zusammenhang das kleinere Problem. Der Rest könnte tatsächlich einfach Pech gewesen sein, vielleicht hat er ja rein zufällig der falschen Person geholfen. Tamaradze
kann alle, die ihr geholfen haben, über ihren wahren Charakter getäuscht haben.«
»Aber du bist dir nicht sicher?«, fragte Henning.
»Das Ganze ist so vollkommen haarsträubend. Tamaradze kann oder will nicht erklären, warum sie sich plötzlich mitten in der Nacht wie ein mordender Engel auf die Straße begibt und beginnt, die Besatzer zu töten. So gerne ich das wollte, kann ich nicht ausschließen, dass Paulsen mit der Sache zu tun hat.«
»Wer ist sie?«, fragte der Reichspolizeichef. »Ist nicht das der springende Punkt?«
»Die einzige logische Erklärung für ihr Verhalten«, meinte Terfig, »wäre, dass sie zu der Kommandotruppe gehört, die den Gegenangriff durchgeführt hat. Dass sie eine Art Vorhut darstellte.«
»Allein?«
»In der Wohnung befanden sich schließlich zwei Waffen«, meinte Skov. »Vielleicht waren es ja mehrere Leute.«
»Sie war aber schon viel früher in Korsør. Wie hätte sie wissen sollen, was geschehen würde, wenn sie zu denjenigen, die die Terroristen angriffen, gehörte?«
»Vielleicht war sie ja eine Überläuferin?«, meinte Skov. »Genau wie Paolo Rocca, falls dies nun der wirkliche Grund für seine Ermordung war. Vielleicht hat sich die Terroristengruppe ja zu irgendeinem Zeitpunkt geteilt und hat anschließend in Korsør gegeneinander Krieg geführt.«
»Aber weshalb hat sich Tamaradze dann nicht mit allen anderen in den Hubschraubern davongemacht?«
Terfig schüttelte den Kopf. »Wir wissen nicht einmal, was für Leute das waren.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Skov.
»Abwarten«, meinte Henning. »Ich werde dem Ministerpräsidenten
darüber Bericht erstatten, und Paulsen bleibt bis auf weiteres suspendiert.«
»Und Lydia Tamaradze?«, fragte Terfig. »Wir wissen nicht, wer sie ist. Aber was ist sie eigentlich? Eine Heldin oder eine Mörderin?«
»Gute Frage«, meinte der Reichspolizeichef. »Ich hoffe, der Ministerpräsident vertritt in dieser Sache einen intelligenten Standpunkt.«
61. Kapitel
Am Dienstagnachmittag begannen die Aufräumarbeiten auf der Brücke, die eher einem langgezogenen Parkplatz glich. Hunderte von Fahrzeugen standen auf der Fahrbahn nach Korsør mit dem Kühler in Richtung der beiden Lastwagen, die die Abfahrt der Brücke versperrten. Niemand wusste, was die Lastwagen geladen hatten. Als Polizei und Sprengstoffexperten sie vorsichtig öffneten, entdeckten sie, dass sie mit Paletten mit HMX, high melting explosive , ein kristallines Pulver mit einer Detonationsgeschwindigkeit von über neun Kilometer in der Sekunde, beladen waren. Ein hocheffektiver Sprengstoff und in den Händen von Terroristen eine
Weitere Kostenlose Bücher