Der Geheimnistraeger
Christian.
»Und wie denkst du darüber?«
»Die einzige Aussage, die sie selbst gemacht haben, handelt vom Rassismus. Zu jenem Zeitpunkt fanden wir es etwas dünn, sich die Dansk Folkeparti vorzuknöpfen, aber mittlerweile glaube ich, dass man die Äußerung in einen etwas umfassenderen Zusammenhang setzen muss. Die Araber der Gruppe haben mit einer Ausnahme in der EU gewohnt. Ein großer Teil der Europäer besaß einen Migrationshintergrund. Für sie geht es bei Rassismus nicht um so etwas Schwammiges wie die biologische Überlegenheit der weißen Rasse, sondern ganz konkret um Ausgrenzung und Benachteiligung.«
»Rassismus als Grund für Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit also«, sagte Terfig. »Und eine Gegenreaktion mit zunehmend gewaltsamen Vorzeichen.«
»So könnte man es vielleicht ausdrücken. Diese Gegenreaktion unterscheidet sich aber sehr von Protesten gegen etwas, was auch wir als ungerecht begreifen. Normale politische Demonstrationen, auch militante, richten sich gegen die Machthaber. Diese Aktion folgte stattdessen der eigenen, inneren Logik des Terrorismus, Chaos zu schaffen, indem sie auf Unschuldige abzielt. Zweck ist, die Schwäche der Gegenseite offenzulegen. Wie in Korsør. Ein Panzerangriff musste auf Dauer scheitern. Es war jedoch eine Methode, Kraft zu demonstrieren. Die Aktion war ein Novum. Neue Methoden und neue Angriffsziele erzwingen eine Gegenreaktion. In den USA führten die Terrorangriffe
dazu, dass die Demokratie auf mehreren Gebieten eingeschränkt wurde. Ebenso wäre vorstellbar, dass ein militärischer Angriff innerhalb der NATO die Länder militarisiert. Das schafft Spannungen in unserer Gesellschaft und erhöht den Widerstand gegen die Teilnahme an zukünftigen Kriegen. Wie im Irak oder in Afghanistan, was die USA noch weiter isolieren könnte. Außerdem wird die Wirtschaft behindert, das haben wir bereits an der Reaktion der Börse gesehen.«
Christian hielt einen Augenblick inne. »Verstehst du, was ich meine?«, fragte er. »Korsør ist die taktisch logische Aktion im Rahmen einer weitreichenden Strategie. Diese basiert auf einer Sicht auf die Gesellschaft, die sich von der unsrigen sehr unterscheidet. Für diese Menschen ist die Demokratie nichts weiter als eine Kulisse, hinter der sich die kapitalistische und kulturelle Unterdrückung verbirgt. Die Demokratie hat demnach keinen Wert an sich und wird gerne geopfert. Sie finden sogar, dass es gut wäre, wenn wir auf dieselbe Art unterdrückt würden wie die Menschen in der Dritten Welt.«
»Du bist sicher auf der richtigen Spur«, meinte Terfig. »Führe eine gründlichere Studie durch.«
»Da war noch was«, meinte Christian. »Ich habe einige meiner Kontakte in Israel bemüht. Es geht um Anatolij Kagan, den Mann, den Paolo Rocca in Syrien traf und dessen Namen uns die Italiener unterschlagen wollten. Er scheint interessant zu sein.«
»Inwiefern?«, fragte Terfig.
»Erst waren sie sich unsicher, um wen es sich handelte. Aber mein Kontaktmann fand heraus, dass er den Vornamen geändert hatte.«
»Und wie heißt er jetzt?«
»Tal. Er hat seinen russischen Namen gegen einen jüdischen eingetauscht.«
»Und in welcher Hinsicht ist er interessant?«
»Tal Kagan ist ehemaliger Berufssoldat, der die Armee verlassen musste und mit dem Feind fraternisierte. Seltsamerweise wurde aber kein Haftbefehl erlassen. Einer meiner Kontakte glaubt also, dass er ein Doppelagent sein könnte. Er weiß nicht, für wen er arbeitet, aber das könnte vielleicht den Unwillen der Italiener erklären, ihn zu erwähnen.«
»Aber sein Name stand doch auf dem Foto, das sie euch gezeigt haben.«
»Ja, auf Hebräisch. Daran haben sie wohl in diesem Augenblick nicht gedacht.«
»Und welche Rolle fällt Kagan in diesem Spiel zu?«
Christian breitete die Hände aus. »Die des Jokers vielleicht?«
62. Kapitel
Møller hatte aufgegeben. Es war ihm zwar gelungen, Paolo Roccas Hotel zu finden, aber dort war die Spur dann auch im Sande verlaufen. Er hatte in allen anderen Hotels in Malmö nachgefragt, um eine Spur von Iman Amin oder ihrem Partner, der mit ihr neben dem Kinderwagen stand, zu finden. Aber nein. Kein Weg schien zu der Person zu führen, die den Mord an Paolo Rocca befohlen hatte.
Sowohl die Zeitungen in Malmö als auch alle überregionalen Blätter in Schweden hatten die Fotos von Rocco und den zwei des Mordes verdächtigten Personen veröffentlicht. Der aufsehenerregende Mord auf dem Rådhuspladsen war natürlich auch in
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