Der Geheimnistraeger
durchlitt, hatte er dann oft Gelegenheit, seine Vorliebe für gewaltsame Lösungen unter Beweis zu stellen. Um sich doch noch in den Griff zu bekommen, wurde er schließlich Polizist. Damit wollte er seine Neigung zur Gewalt in geordnete, legale Bahnen lenken. So dachte er zumindest. Er begann seine Laufbahn als Gesetzeshüter bei einer Einsatzstreife in Norrmalm. Während seiner ersten sechs Jahre wurde er öfter als jeder andere Polizeibeamte in Schweden angezeigt. Einer muss schließlich der Schlimmste sein, meinte er zu seiner Verteidigung. Allein der Zusammenhalt unter den Polizeibeamten
und die unzulänglichen internen Ermittlungen ermöglichten ihm, seinen Job zu behalten.
An einem Frühlingstag in seinem siebten Jahr wurde Espen Kroghs Streife in ein Wohnviertel im Süden der Stadt gerufen. Ein Mann hatte in seiner Wohnung im dritten Stock Frau und Kind als Geiseln genommen. Er drohte damit, sie zu erschießen. Espen kletterte über die Regenrinne auf den Balkon der Wohnung. Als er sich gerade über das Balkongeländer schwang, wurde die Balkontür geöffnet. Der Lauf einer Schrotflinte wurde auf seinen Bauch gerichtet. Da Espen kein Anfänger war, wusste er, dass es ernst war. Er erkannte es am Blick des Mannes und an seiner Hand, die nicht zitterte, und er entnahm es den wenigen Worten des Mannes. Dieser befand sich zwar in einer extremen Situation, war aber nicht verrückt. Espen sah sich einem Mann gegenüber, der mit derselben Überzeugung wie er selbst an Gewalt glaubte.
Eine gute Stunde später kam Espen nach unten. Er hatte einen Arm um den Mann gelegt, in der anderen Hand hielt er die Schrotflinte. Die Frau und das Kind konnten ohne körperliche Verletzungen zur Überwachung ins Krankenhaus gebracht werden. Bei der Nachbesprechung erzählte Espen, wie er mit dem Mann geredet und verhandelt und ihn schließlich zum Aufgeben bewegt habe.
»Und zwar wie?«, hatte der Polizeipsychologe wissen wollen.
»Ganz einfach«, antwortete Espen. »Ich habe über alles geredet, nur nicht über Gewalt und Drohungen.«
Dieses Erlebnis gab Espen Krogh zu denken. Er besuchte Kurse über Verhandlungstechnik in Extremsituationen. Nachdem er sich ein Jahr lang darüber geärgert hatte, dass man ihn nicht, wie er das wollte, freistellte, kündigte er bei der Polizei und begann an der Uni Psychologie zu studieren.
Vier Jahre und einige hunderttausend Kronen Studiendarlehen
später rief ihn ein Mann an, der sich als Stellan Wall vorstellte. Er war Chef der skandinavischen Niederlassung der amerikanischen Firma Compton & Floyd. Dass diese Firma nicht allgemein bekannt war, lag daran, dass sie sich auf heikle Vermittleraufgaben spezialisiert hatte und es vorzog, im Stillen zu agieren. Die Kontakte zu den Kunden wurden sehr diskret behandelt.
»Was für Vermittleraufgaben?«, hatte Espen wissen wollen.
»Solche, bei denen es zwei Seiten gibt«, hatte Wall geantwortet, »und von denen zumindest eine Seite bereit ist zu zahlen.«
Die Arbeit lief auf eines hinaus: einen Konflikt auf eine Art zu lösen, die die Seite, die das Honorar zahlte, befriedigte. Die Firma war auf Situationen spezialisiert, in denen mit Gewalt zu rechnen war. Geiselnahmen, Entführungen, Drohungen und Erpressungen. Kein Auftrag war zu unbedeutend, solange nur genug Geld dabei heraussprang.
Wall sagte, er habe Espens Karriere mitverfolgt, und behauptete, sein »Profil« entspreche den Anforderungen des Jobs. Der Lohn war hoch.
Espen fasste sich ans Herz, etwa in der Höhe, in der seine Brieftasche in der Innentasche steckte, und nahm das Angebot nach etwa zwei Sekunden Bedenkzeit an.
In den fünf Jahren, die seither vergangen waren, war Espen ein Handlungsreisender in Sachen Konfliktlösung gewesen. Das Spektrum erstreckte sich von ehelichen Misshelligkeiten in den besseren Kreisen bis hin zu Kidnapping von Geschäftsleuten durch obskure lateinamerikanische Guerillagruppen. Er lernte, dass alle Konflikte auf der Unwilligkeit oder dem Unwillen, der Gegenseite die gleichen Rechte zuzugestehen, beruhten. Der Grund für diese Unfähigkeit konnte Egoismus, Gier, Bösartigkeit oder einfache reine Dummheit sein. Aber die moralische Seite dieser Sache kümmerte Espen eigentlich weniger.
Ihm ging es darum, das Problem zu analysieren und die beiden Seiten dann dazu zu bringen, ihre Standpunkte so weit zu modifizieren, dass eine Einigung möglich wurde. Oft war dazu Geld nötig, manchmal genügten Worte.
In mit Agressionen aufgeladenen Situationen war
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