Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geheimnistraeger

Der Geheimnistraeger

Titel: Der Geheimnistraeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kanger
Vom Netzwerk:
Diplomatie seine wichtigste Methode. Sachliche Argumentation war meist das Beste, aber Espen beherrschte alle Register: Schmeichelei, Beharrlichkeit und Ablenkungsmanöver. Wenn er damit nicht weiterkam, übertrieb er die Argumente der beiden Seiten. Wenn sie mit Gewalt drohten, schlug er Bomben und Massenmord vor. Damit zwang er sie dazu, die propagierten Mafiamethoden schließlich abzulehnen und ihren Konflikt selbst zu entschärfen. So ließ der Drang zum Faustrecht ganz von selbst nach.
    In festgefahrenen Situationen galt es der Gegenseite die Augen zu öffnen oder die Perspektive umzukehren. Brutale Aufrichtigkeit war oft die beste Methode. Ging es um Geld, dann versuchte er die Streitenden dazu zu bringen, bessere Argumente für die Haltung der Gegenseite zu finden als die Gegenseite selbst. Es ging darum, die Streitenden davon zu überzeugen, dass auch dem Standpunkt der Gegenseite eine gewisse Logik nicht abzusprechen war.
    Nach einigen Jahren war das Gerücht über Espens neue Karriere bis zu seinem alten Arbeitgeber, der Stockholmer Polizei, vorgedrungen. Man begann, ihn bei Geiselnahmen als Unterhändler einzusetzen. Er war der Mann, dem Dinge glückten, die anderen missglückten.
    Der Mann, der früher immer sofort zu Gewalt bereit gewesen war, hatte sich verändert. In seinem Herzen war er jedoch immer noch derselbe. Die neuen Einsichten waren nur bis zu seinem Kopf vorgedrungen. Bald empfand er seine neue Rolle als eine Zwangsjacke. Die neue Rolle forderte ihren Preis.
Diese Schuld bezahlte Espen Krogh mit Alkohol ab, anfänglich eine ordentliche Dosis nach Feierabend, dann schon zum Frühstück, Mittagessen und zum Abendessen ohnehin. Aber die Schuld wuchs, und jetzt war die Kasse offenbar leer. Er grub nach seinen letzten Ersparnissen, bald würde er selbst in der Grube liegen.
    Er saß in seinem Sessel und glaubte, ein gewisses Maß an Selbsterkenntnis gewonnen zu haben. Oder hatte ihm der Wodka einen Streich gespielt?
    Er erhob sich, ging in die Diele und zog seine Wildlederjacke an. Es war halb neun Uhr abends, und die Sonne war vor mehreren Stunden untergegangen. Planlos und immer rastloser strich er durch die dunklen Straßen. Am Karlaplan nahm er die U-Bahn und fuhr mit der roten Linie zum Slussen. Die Füße trugen ihn fast automatisch in ein Lokal mit einem lustigen norwegischen Namen. An der Theke sagte er nichts, sondern deutete nur auf einen der Zapfhähne. Man stellte ihm das Glas hin, und er leerte es, ohne abzusetzen. Er bestellte sofort ein weiteres.
    Ein Lachen veranlasste ihn, sich umzudrehen. Er kannte dieses Lachen nur zu gut. Es war Simones.
    Unsere Schicksale sind auf ewig miteinander verwoben, dachte er, ehe er sie mit dem Blick erfasste.
    Sie stand mitten im Lokal an einem runden Bartisch. Neben ihr stand ein Mann, den Espen nicht kannte. Er trank Bier, und sie hatte ein Weinglas in der Hand. Jetzt war der Mann mit dem Lachen an der Reihe. Es war ein einschmeichelndes Lachen.
    Espen nahm sein Glas und trat auf sie zu.
    »Was für eine Überraschung, dich hier zu sehen, Simone.«
    »Das kann ich in deinem Fall leider nicht sagen, Espen«, erwiderte sie reserviert.
    Schon wieder ein Eigentor, konstatierte Espen. Dann eben Angriff von der anderen Flanke.

    »Wer ist das?« Er nickte zur Seite, ohne einen Blick in die Richtung des Unbekannten zu werfen.
    »Ein Freund.«
    »Ein Freund? In diesem Fall hat er guten Geschmack, was seinen Umgang angeht. Aber das kann man von dir wirklich nicht sagen. Du hast vollkommen den Stil verloren.«
    Der Mann trat mit geballten Fäusten einen Schritt vor. Er wirkte sehr groß.
    »Kümmer dich nicht um ihn, Sören«, sagte Simone und legte dem riesigen Kerl eine Hand auf den Arm. »Das hier ist nur ein abgehalfterter Alkoholiker.«
    »Sören. Heißt er so?«, sagte Espen. »Er hat nicht nur guten Geschmack, er hat auch einen schönen Namen. Meine Mutter hatte einen Hund, der Sören hieß.«
    Die Faust schoss über den Tisch. Sie traf Espen am Kinn, glücklicherweise nicht sehr präzise, denn dann wäre er kaum wieder aus der Bodenlage, die er recht ungraziös eingenommen hatte, hochgekommen. Er erhob sich und klopfte sich die Kleider ab.
    »Dein Glück, dass ich Polizist bin«, log er. »Sonst hätte ich jetzt die Polizei rufen müssen. Aber ich finde, du solltest hier schleunigst verschwinden und irgendwo an einen Laternenpfahl pinkeln, falls du den Kleinen überhaupt findest.«
    Der Mann, der Sören hieß, trat einen Schritt auf Espen zu, der

Weitere Kostenlose Bücher