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Der Geheimnistraeger

Der Geheimnistraeger

Titel: Der Geheimnistraeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kanger
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alle, sich selbst eingeschlossen, dadurch in Erstaunen versetzte, dass er seinem Gegner elegant ein Bein stellte, wodurch dieser schwer zu Boden ging. Durch Aufbietung seiner äußersten mentalen Kräfte gelang es Espen, den Impuls niederzukämpfen, dem Mann das Gesicht einzutreten. Stattdessen drehte er sich um. Mit einem kurzen »Wuff« verabschiedete er sich und ging zur Tür.

12. Kapitel
    In den folgenden Wochen versuchte Espen, sich zusammenzureißen. Das bedeutete, dass er nur noch abends trank. Er tauchte halbwegs pünktlich im Büro auf. Stellan Wall erzählte er, er habe aufgehört. Er ging zu dem Suchttherapeuten, der sich jedoch nicht so leicht hinters Licht führen ließ wie Wall. Aber der Therapeut hatte Schweigepflicht, und davon, dass Espen weiterhin trank, erfuhr sein Chef nichts.
    An einem Dienstag erschien er spät zur Arbeit. Am Vorabend war er ungewöhnlich trinkfreudig gewesen. Er hoffte, Wall nicht zu begegnen, und legte einen Zettel auf seinen Schreibtisch: »Bin bei einer Besprechung.« Er nahm die U-Bahn, entfernte sich damit möglichst weit vom Büro, ging in einen Pub und bestellte ein großes Bier.
    Zwei Stunden und etliche Gläser später klingelte sein Handy. Es war Wall. Espen nahm sich zusammen und versuchte, klar zu sprechen.
    »Kripo Stockholm«, sagte Wall. »Geiselnahme. Du sollst hinfahren und sie unterstützen.«
    »Worum geht es?«, fragte Espen.
    »Die Forex-Wechselstube in der Innenstadt. Offenbar ein missglückter Raubüberfall. Jetzt hat der Täter zwei Kassiererinnen als Geiseln genommen und fordert freies Geleit.«

    »Ich bin mitten in einer Besprechung …«, sagte Espen, aber Wall hörte nicht zu.
    »Der Einsatzchef erwartet dich«, sagte er und legte auf.
    Espen lutschte ein paar Pfefferminzbonbons gegen seine Alkoholfahne, zahlte und rief ein Taxi.
    Die nähere Umgebung war abgesperrt, als er eintraf. Espen nannte einem uniformierten Polizisten seinen Namen, dieser führte ihn zu seinem Einsatzwagen, der offenbar als eine Art Verbindungszentrale diente. Espen kannte den Einsatzchef in Zivil, einen Inspektor namens Hörnfeldt, gut. Sie hatten in den guten alten Zeiten viele Nächte zusammengearbeitet.
    »Espen«, sagte Hörnfeldt. »Gut. Wir brauchen dich.« Er gab Espen die Hand. Dann schien er zu zögern. »Alles okay?«
    »Klar«, entgegnete Espen. »Alles in Ordnung. Ich habe heute nur schon sehr früh angefangen. Auch wir machen üble Jobs. Ich wollte gerade nach Hause fahren und mich umziehen, als mich Wall anrief. Gegen einen Kaffee hätte ich allerdings nichts einzuwenden.«
    »Den besorgen wir«, sagte Hörnfeldt und gab seinen Wunsch an einen der Uniformierten weiter. »Der Typ da drin scheint ziemlich verwirrt zu sein. Ein Ausländer, der ein unverständliches Kauderwelsch spricht. Wir haben in Erfahrung gebracht, dass er aus einer ehemaligen Sowjetrepublik stammt und zuletzt in Dänemark gewohnt hat. Unser Unterhändler bekommt irgendwie keinen richtigen Kontakt zu ihm, aber du kannst ja Dänisch und bewältigst die Situation vielleicht besser.«
    »Meine Muttersprache«, sagte Espen auf Dänisch. »Bitte?«, erwiderte Hörnfeldt, und Espen wiederholte das Ganze noch einmal auf Schwedisch. Hörnfeldt nickte. »Versuch es. Wir würden ihn gerne mit Reden da herausbringen. Aber sei vorsichtig, er hat eine Pistole.«
    Eine Frau, die Espen nicht aus seiner Zeit bei der Polizei bekannt
war, rüstete ihn mit einem Handy mit Freisprechfunktion aus. Espen kippte den Kaffee hinunter und folgte Hörnfeldt zum letzten sicheren Vorposten vor der Wechselstube.
    »Die Tür zur Wechselstube steht offen«, sagte Hörnfeldt. »Er kann dich dort drinnen hören. Wir geben dir Deckung, falls er nach draußen rennt. Wir sind die ganze Zeit dabei.«
    Hörnfeldt zog sich ein paar Schritte zurück. Espen war allein. Jetzt hing alles von ihm ab. Der Bürgersteig schien unter seinen Füßen zu schwanken. Das viele Bier ließ sich nicht mit einer Tasse Kaffee bekämpfen. Und schon vor dem Bier musste er ein paar Promille im Blut gehabt haben. Espen versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber er hatte das Gefühl, sein Gehirn sei gelähmt, und womöglich war es das auch.
    »Hallo, hören Sie mich?«, rief er auf Dänisch. Keine Antwort. »Ich heiße Espen. Wie heißen Sie?« Stille. Espen wartete eine Weile. Dann begann er erneut zu rufen. Er meinte das Jammern einer der Gefangenen zu hören. »Wo kommen Sie her?«, fragte Espen laut. »Ich komme aus Helsingør. In Dänemark.

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