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Der Geheimnistraeger

Der Geheimnistraeger

Titel: Der Geheimnistraeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kanger
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nicht leicht zu überreden, aber als er die Tür des Suchttherapeuten hinter sich schloss, war er davon überzeugt, dass er mit dem Alkohol aufhören würde. Nach einem einzigen Besuch, das imponierte ihm, dieser Mann wusste wirklich, wie man jemanden zur Vernunft brachte! Mit Wissen, sachlicher Information, Direktheit. Da Espen fand, dass es keinen Sinn hatte, sich eine Lügengeschichte auszudenken, dass es besser war, ehrlich zu antworten oder gleich wieder zu gehen, hatte er seine Trinkgewohnheiten so genau wie möglich dargelegt. Dann sah er sich gezwungen, sich dem Urteil des Therapeuten zu beugen: Er erfüllte alle Kriterien, die für einen Vollalkoholiker galten. Nur in einem Punkt hatte er widersprochen, als es um den Schluck Alkohol ging, mit dem sich der Kater am nächsten Tag vertreiben ließ. Der Therapeut hatte mit einem schrägen Lächeln gefragt, ob er je aufgehört habe zu trinken? Diese Frage hatte Espen verneint, und der Therapeut hatte auch dort ein Kreuzchen gemacht.
    Auf dem Weg zu seiner Wohnung am Karlavägen kam er an mehreren Lokalen vorbei, ohne überhaupt etwas trinken zu wollen. Zu Hause angelangt, ging er sofort zum Küchenschrank, nahm ein Wasserglas heraus, füllte es mit Wodka und trank es in einem Zug leer.

    Er ließ sich auf einen Sessel sinken und sah sich um. Die Wohnung hatte mit seinem persönlichen Verfall nicht Schritt gehalten. Einstweilen hielt er sie noch in Ordnung. Vielleicht Simones wegen. Sie besaß zwar eine eigene Wohnung, hatte aber meist bei ihm übernachtet. Und so einer Frau konnte man keine Müllhalde zumuten.
    Die Wärme des Wodkas breitete sich wie die Gluthitze eines Kaminfeuers in seinem Körper aus. Er hatte sich um die Frau, die er liebte, gesoffen. Sein Job war auch auf dem besten Weg, in den Alkoholschwaden zu verschwinden. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Wohnung zwangsversteigert wurde, das wusste er. Warum musste er nur so verdammt viel saufen ? Diese Frage hatte ihm der Therapeut nicht einmal gestellt. »Warum auch immer Sie angefangen haben, spielt jetzt keine Rolle mehr.« Das hatte er gesagt. Der ursprüngliche Grund war gleichgültig. Jetzt ging es nur noch darum, sich um das, was übrig geblieben war, zu kümmern und aus einer zwanghaften Gewohnheit auszubrechen, einer Manie, einem angelernten Verhalten, das die Herrschaft über Espens Leben übernommen hatte und es vollkommen zu ruinieren drohte.
    Aber selbst wenn der Therapeut ihn gefragt hätte, hätte Espen nicht antworten können. Nicht direkt jedenfalls. Er saß mit einem leeren Glas in der Hand auf dem Sessel und musste zugeben, dass er sich selbst ein Rätsel war. Wer war er? Ein neununddreißigjähriger Mann, der seinen Instinkten folgte, alles genetisch vorprogrammiert. Zu diesen Instinkten gehörte seine Maßlosigkeit. Immer alles sofort, denn im nächsten Augenblick konnte es schon wieder verschwunden sein. Gewalt zählte ebenfalls zu seinen Reflexen. Espen Krogh glaubte an Gewalt. Lange Zeit war seine Philosophie ganz einfach gewesen. Wenn Gewalt nicht reicht, dann wendet man einfach noch mehr Gewalt an. Er wusste nicht, ob er mit dieser Einstellung geboren
worden war oder ob ihn seine Umgebung so geformt hatte. Aber er erinnerte sich an die erste praktische Umsetzung dieses Prinzips. Seine Mutter hatte schon wieder einen Neuen gehabt. Sie hatten damals in Helsingør gewohnt, Espen war zwölf und winzig wie eine Krabbe gewesen. Der Mann teilte ihm mit, er solle ihn zukünftig Papa nennen und tun, was er sage. Ungehorsam wurde nicht toleriert. Der Ernst dieser Mitteilung wurde mit einer Ohrfeige bei erstbester Gelegenheit unterstrichen.
    Da Espen zu klein war, um zurückzuschlagen, und auch keine Lust hatte, abzuwarten, bis er groß genug war, ging er unmittelbar nach der Ohrfeige zur nächsten Tankstelle. Von seinem Taschengeld kaufte er einen Kanister Benzin, goss dieses über das Auto seines Stiefvaters und zündete es an. Das Feuer erleuchtete das ganze Stadtviertel, und in seinem Schein vollführte Espen einen Kriegstanz, wie es die Indianer in alten Western taten. Als der Freund seiner Mutter das sah, dachte er noch einmal gründlich nach. Er hob nie wieder die Hand gegen Espen, blieb aber auch nicht mehr lange in der Wohnung. Anschließend bestieg seine Mutter die Fähre nach Schweden, in einer Hand einen Koffer, an der anderen Espen, damit ihr das Sozialamt den Sohn nicht wegnahm.
    In dem Stockholmer Vorort, in den Espen geriet und seine Jahre als Teenager

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