Der Geheimnistraeger
Saal allein. Er kehrte mit einer Frau Mitte fünfzig zurück. Sophia, dachte Vincent. Die Frau war eine Schönheit, aber ihr Gesicht wirkte wie versteinert, als würde sie nie lächeln.
»Das ist Signora Brambini, meine Frau Sophia«, sagte Brambini. »Würden Sie so freundlich sein und ihr den Ring zeigen?«
Vincent reichte ihr das Schächtelchen. Die Frau nahm den Ring heraus. Vincent folgte ihrem Blick, als sie die Inschrift las.
»Der Ring gehört Francesca«, sagte Sophia Brambini, ohne dabei ein Gefühl zu zeigen. »Wo haben Sie ihn gefunden?«
»Und er hat früher Ihnen gehört, Signora Brambini?«, fragte Capitano Gandini.
»Ich habe ihn Francesca geschenkt und ich habe ihn von meiner Mutter Donata bekommen. Vittoria war ihre Mutter, meine Großmutter. Wo haben Sie den Ring gefunden?«
Gandini sah Vincent an. Dieser nickte. »Meine dänischen Kollegen haben ihn in Kopenhagen gefunden«, sagte Gandini. »Er wurde von einem Mann getragen, der eines gewaltsamen Todes gestorben ist.«
»Wir wissen nicht, wer dieser Mann ist«, mischte sich Christian ein. »Vielleicht können Sie uns helfen.«
Signor Brambini wandte sich an Christian. »Sie sprechen also Italienisch?«
Christian nickte leicht. »Der Ring gehörte Ihrer Tochter.« Er zögerte kurz. »Können wir …«
»Sie ist tot«, sagte Sophia Brambini. »Sie starb in Polizeigewahrsam. «
Ihre Miene veränderte sich nicht, aber ihre Stimme war wie
ein scharf geschliffenes Messer. Vincent versteckte sich hinter seinen sprachlichen Unkenntnissen und schwieg. Christian, der so unvorsichtig gewesen war, sich zu seinen Italienischkenntnissen zu bekennen, senkte den Kopf und drückte mit dieser Geste sein Bedauern aus. Gaetano Gandini blieb jedoch unbeeindruckt. »Das tut mir ungemein leid«, sagte er. »Wenn sich die Polizei Bolognas etwas hat zuschulden kommen lassen, dann bin ich der Erste, der das bedauert.«
»Es geschah in Holland«, erklärte Sophia Brambini, »vor acht Jahren und zwei Monaten.« Ihr Ton war unversöhnlich.
Vincent trat einen Schritt vor. »Signora Brambini«, sagte er auf Englisch. »Wir brauchen Ihre Hilfe. Wer kann der Mann gewesen sein, der den Ring Ihrer Tochter trug?«
»Paolo«, antwortete sie. »Paolo. Francesca war mit ihm auf der Reise nach Holland zusammen. Er kam anschließend hierher. Mehr weiß ich nicht.«
Eine Stunde später verließen sie die palastähnliche Villa. Sophia Brambini hatte nicht weitersprechen wollen, aber ihr Gatte hatte versucht, ihre Fragen zu beantworten. Sie hatten ein gutes Bild von Francesca Brambini gewonnen, der geliebten Tochter, die studiert hatte, politisch aktiv gewesen war und nach der Festnahme bei einer Demonstration gestorben war. Die Tochter reicher Eltern, die die Welt ihres Vaters, aber nicht ihn selbst und seine Familie abgelehnt hatte. Francesca war das Licht im Leben ihrer Mutter gewesen und ausgelöscht worden.
Über Paolo wusste Signor Brambini nichts. Er hatte ihn nur ein einziges Mal vor der Villa gesehen, einige Tage nach der Katastrophe.
Und die Namen im Ring … der alte Juwelier Simon Herschfeld hatte richtig geraten. Vittoria erhielt den einfachen Schmuck von ihrem Vater bei ihrer Geburt 1898. Sie vererbte
ihn an ihre Tochter Donata weiter, die später einen Weinbauern heiratete. Dieser Weinbauer lieh sich Geld von Brambinis Großvater und vermehrte dieses. Donata und ihr Mann gehörten am Ende des Krieges zu den Partisanen und konnten später bezeugen, dass die Brambinis den antifaschistischen Widerstand finanziell unterstützt hatten. Beide Familien zählten zu den Siegern. Die Bande zwischen den Familien wurden schließlich durch die Heirat des jungen Brambini mit Donatas Tochter Sophia noch enger geknüpft. Francesca war die einzige Frucht dieser Liebe gewesen.
Signor Brambini hatte gefragt, ob er den Ring behalten könne. Paulsen versprach, ihn zurückzugeben, wenn die Ermittlungen abgeschlossen seien.
Als sie mit dem Auto von der Villa wegfuhren, drehte sich Vincent Paulsen noch einmal zum Haus Brambini um. So groß und doch nicht geräumig genug für die enorme Trauer.
Als sie zur Wache zurückkehrten, lag dort eine Nachricht für Vincent Paulsen. Sie war von Bjarne Skov: »Ruf mich an und dann deine Familie, in dieser Reihenfolge.« Vincent überkam eine beklemmende Unruhe. Er hatte mit seiner Frau Birthe noch am Vorabend telefoniert. Alles war in schönster Ordnung gewesen. Er erwog, sie als Erstes anzurufen, beschloss dann aber, dem Rat seines
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