Der Geheimnistraeger
sicher an die vierzig Männer. Sie wirkten wie Sportler auf dem Weg zum Training oder zu einem Wettkampf. Doris überlegte, wo sie wohl hinfahren würden, aber die Stille war so mit Händen zu greifen, dass sie nicht zu fragen wagte.
Die Männer luden ihre Taschen in die Kofferräume und fuhren weg. Sie folgte den Fahrzeugen mit ihrem Blick.
Einige Minuten später kamen zwei der im Hotel verbliebenen Männer rasch auf sie zu. »Es ist etwas sehr Ernstes geschehen«, sagte der eine auf Englisch. »Einer unserer Kollegen ist mit dem Messer verletzt worden. Er ist schwer verletzt und liegt im Bett auf seinem Zimmer. Wir haben den Täter gestellt. Es ist sein Zimmergenosse.«
»Wie schrecklich«, rief Doris. »Ich rufe sofort die Polizei.« Sie streckte die Hand nach dem Telefon aus. Sie wählte, aber verwählte sich und musste erneut wählen. Als sich die Notrufzentrale meldete, wiederholte sie, was die Männer zu ihr gesagt hatten.
»Aus Korsør kommt ein Krankenwagen. Die Polizei kommt aus Slagelse«, sagte sie und legte auf. Die Männer standen schweigend vor ihr. »Ich muss meinen Chef anrufen«, sagte sie und streckte die Hand wieder nach dem Telefonhörer aus.
»Warten Sie, bis die Polizei da ist«, sagte der eine Mann. »Die entscheiden immer, wer informiert werden soll.«
Doris zog die Hand zurück, ohne richtig zu verstehen, warum sie gehorchte. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie versuchte zu berechnen, wie lange der Krankenwagen brauchen würde. Sieben bis acht Minuten? Eine Messerstecherei … das war noch nie vorgekommen. Es fiel ihr schwer, einfach nur dazustehen und zu warten. Warum musste das ausgerechnet heute passieren, an einem Tag, an dem sie eigentlich mit Jens hätte zu Hause sein sollen. Sie hatte mit ihm an den Strand gehen wollen. Ein Messer … was waren das eigentlich für Männer? Sie wirkten nicht einmal sonderlich entsetzt. Sie standen ganz ruhig da und warteten.
Endlich hörte sie die Sirenen. Zwei Sanitäter mit einer Trage betraten rasch die Lobby. Doris deutete auf einen der Männer vor dem Tresen. »Ich gehe mit aufs Zimmer«, sagte er auf Englisch. Der andere Mann blieb stehen.
Etliche Minuten vergingen. Doris fiel es schwer, still zu stehen, ihre Hände waren ständig in Bewegung. Sie ließ einen Kugelschreiber kreisen, schob ein paar Papiere hin und her und schielte aufs Telefon. Sie schaute aus dem Fenster. »Wo bleibt die Polizei?«, sagte sie zu dem Mann, der vor ihr stand, erhielt
aber keine Antwort. »Warum haben sie den Verletzten noch nicht nach draußen getragen?«
Hinter ihr kamen weitere vier Männer aus ihren Zimmern. Alle hatten ihre Taschen in der Hand. Sie stellten sich an den Eingang. »Wissen Sie, was geschehen ist?«, fragte Doris. Der Mann vor ihr schüttelte den Kopf. »Sollten wir es ihnen nicht …«
Sie betrachtete die vier Männer am Eingang. Sie standen vollkommen reglos da, nur einer wippte auf den Füßen vor und zurück. Die Szene kam Doris unwirklich vor. »Ich rufe noch einmal an«, sagte sie und griff zum Telefonhörer. Der Mann am Tresen kam ihr jedoch zuvor. Er legte seine Hand schwer auf das Telefon. »Warten Sie!«, befahl er.
Genau in diesem Augenblick dachte Doris an ihren Sohn. Eine Sirene riss sie aus ihren Gedanken. Ein Streifenwagen hielt hinter dem Krankenwagen. Zwei Beamte stiegen aus und kamen durch das Entree auf Doris zu. Sie wollte ihnen gerade erklären, was geschehen war, da sah sie, dass sich die vier Männer am Eingang vorbeugten und längliche Gegenstände aus ihren Taschen nahmen. Sie fuchtelte wie zur Warnung mit einer Hand in der Luft, aber weiter kam sie nicht. Der Mann, der ihr am nächsten stand, schoss dem einen Polizisten in den Rücken. Der Mann wurde von dem Geschoss nach vorne geschleudert, und Doris wich instinktiv mehrere Schritte zurück. Der Polizist krachte gegen den Empfangstresen und fiel dann seitlich zu Boden.
Der andere Polizist machte Anstalten, sich zu seinem Kollegen herunterzubeugen, warf sich dann aber zur Seite, um zu entkommen. Einer der Männer am Eingang schoss ihm eine Salve vor die Füße. Der Polizist stürzte und versuchte im Liegen, seine Pistole zu ziehen. Mit raschen Schritten kamen die vier Männer mit erhobenen Waffen auf ihn zu. Doris hörte
seine Todesangst, kurze, jammernde Laute entrannen seinem Mund. Sie stand ganz still und konnte sich nicht bewegen. Ehe der Polizist noch seine Pistole aus dem Holster genestelt hatte, wurde schon eine Waffe auf seinen Kopf gerichtet. Doris
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