Der Geheimnistraeger
einer Antirassismus-Demonstration in Marseille festgenommen worden war. In ihrer Akte stand außerdem, dass sie im selben Jahr von Anhängern der Front National schwer misshandelt worden war. Im Jahr darauf war Iman Amin unter dem Namen Jeanne Anoud an der Grenze zwischen dem Libanon und Syrien aufgetaucht. Seither war ihr Aufenthaltsort unbekannt.
»Syrien«, sagte Vincent. »Paolo Rocca war auch dort. Und jetzt tauchen ihre Fingerabdrücke auf dieser Puppe auf.«
»Mehr als nur ein Zufall, oder?«, meinte Møller und hielt Iman Amins sechs Jahre altes französisches Passfoto in die Höhe. Er legte eine Vergrößerung des Standbildes von dem japanischen Video von der Frau mit dem Kinderwagen neben das Passfoto.
»Eine ziemlich große Ähnlichkeit«, meinte Vincent, nachdem er sich beide Fotos gründlich angesehen hatte. »Jedenfalls keine auffallenden Abweichungen. Vielleicht kann die Spurensicherung ein eindeutiges Merkmal herausfiltern.«
Møller seufzte. »Es scheint, als müssten wir noch ein drittes Mal in den Hotels, Zügen und was weiß ich wo suchen. Denn sie wird ja wohl kaum unter ihrem richtigen Namen in einem Hotel gewohnt haben.
»Es ist nicht sicher, dass sie weiß, dass wir ihren falschen französischen Namen kennen. Mit etwas Glück ist sie ja unter diesem Namen gereist.«
»Ich werde einen von den Zeichnern darum bitten, der Dame eine Perücke zu verpassen, damit sie der Kinderwagenlady möglichst ähnlich sieht. Begleitest du mich später?«
»Eher nicht«, sagte Vincent. »Ich will mit Christian sprechen, wenn er aus Mailand zurückkommt.«
Eine Stunde später betrat Skov Vincents Büro. Er nahm auf dem Besucherstuhl Platz. Paulsen hoffte, dass es nicht um sein Telefongespräch mit Lydia ging.
»Ich habe gerade etwas Verblüffendes gehört«, sagte Skov. »Wie du weißt, hat die Börse nach den Kursstürzen heute Morgen geschlossen. Davor wurden jedoch große Geschäfte getätigt. Jemand hat Aktien für zwei Milliarden Kronen in Form von sogenannten Optionen verkauft.«
»Was bedeutet das?«
»Ich begreife es auch nicht ganz, obwohl ich es mir habe erklären lassen. Es bedeutet ungefähr, dass sich Verkäufer und Käufer im Voraus auf den Preis einer Aktie einigen. Beispielsweise: Der Verkäufer sagt zum Käufer, du kannst meine Aktien in einer Woche für hundert Kronen das Stück kaufen. Sinkt der Kurs am Verkaufstag unter hundert Kronen, dann verdient der Verkäufer an diesem Geschäft, da er vom Käufer trotzdem hundert Kronen pro Aktie bekommt. Steigt der Kurs stattdessen, dann macht der Käufer einen Gewinn. Das ist eine Mischung aus Glücksspiel und Versicherungsprämie.«
»Im Voraus festgelegt«, meinte Vincent. »Heißt das also, dass jemand im Voraus wusste, was geschehen würde?«
»Das ist eine Schlussfolgerung. Nicht bewiesen, aber denkbar. «
»Und der Verkäufer verdiente an diesem Geschäft?«
»Ja.«
»Wer ist es?«
Skov breitete die Hände aus.
»Rate mal«, erwiderte er. »Das Geschäft wurde über eine Stiftung in Holland abgewickelt, und an die kommen wir nicht ran. Anonym. An der Börse weiß man nicht mehr.«
»Du meinst also ganz im Ernst, dass wir nicht herausfinden können, wem dieser Spekulationsgewinn zufällt?«, sagte Vincent.
»Ja, ganz im Ernst.«
»Wie groß ist der Gewinn?«
»Das hängt von den Bedingungen ab, sagen die Leute, die sich mit diesen Dingen auskennen. Die Börsenkurse sind um sieben Prozent gesunken. Bei zwei Milliarden sind das 140 Millionen Kronen.«
»Viel, aber auch wieder nicht so wahnsinnig viel. Die Besetzung muss mindestens genauso viel gekostet haben. Worin bestünde also der Nettogewinn?«
»Diese Frage habe ich auch gestellt«, sagte Skov. »Die Antwort lautet, dass es sich um bedeutend mehr Geld handeln könnte. London, Frankfurt, Stockholm, überall sind die Kurse gefallen. Allein in Kopenhagen beträgt der Bruttogewinn 140 Millionen.«
»Verzeih mir meine Ahnungslosigkeit, aber warum geht man an andere Börsen? Dass die Auswirkungen auf die Aktienkurse in Dänemark am größten sein würden, hätte sogar ich mir ausrechnen können.«
»Ich habe diese Frage auch gestellt, Vincent. Aber man muss offenbar jemanden finden, der mitspielt, einen Käufer, der sich auf die Bedingungen einlässt. Jemanden, der die Verluste verkraftet, falls etwas schiefgeht. Kopenhagen ist zu klein, und die Einsätze sind sehr hoch.«
Sie saßen schweigend da und sahen sich an.
»Sollte es sich hierbei einfach um einen großen
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