Der Geheimnistraeger
Kinderwagen glich.
Iman Amin wurde wegen Mordes gesucht. Die Polizei bat um Hinweise über sie und den unbekannten Mann.
Die Besetzung und der Mord auf dem Rådhuspladsen wurden von Politikern und den von den Medien ernannten Experten in Verbindung gebracht. Verschiedene Quellen innerhalb der Polizei hatten diese Theorie an die Journalisten weitergetragen. Iman Amins Name galt als endgültiger Beweis: Dänemark sah sich massivem islamischen Terror ausgesetzt. Die Polizei veröffentlichte auch ein Foto Paolo Roccas sowie seinen Namen und Angaben zu seinem Hintergrund. Die Tatsache, dass das Mordopfer Italiener und kein Mohammedaner war, brachte die Kommentatoren jedoch nicht von ihrer Analyse ab.
Die Polizeiführung beschloss, keine Fragen über mögliche Zusammenhänge zu beantworten. »Dafür ist es noch zu früh, da wir immer noch nicht wissen, wer die Bewohner Korsørs
überfallen hat«, lautete der einzige Kommentar von Reichspolizeichef Thord Henning.
Die Fahndung nach Iman Amin führte zu einer Flut von Hinweisen. Eine erste Durchsicht ergab, dass keiner relevant zu sein schien. Aber die Hinweise trafen weiterhin ein, und sie wussten, dass ein einziger guter Tipp genügte, um sie weiterzubringen.
Kurz vor sieben Uhr betrat Christian das Morddezernat. Er sah so unbekümmert und entspannt aus, als käme er gerade aus den Ferien.
»Schon zurück«, sagte Vincent und schaute zu Christian hoch.
»Ich bin schon seit einigen Stunden wieder da«, erwiderte Christian. »Können wir uns unterhalten?«
»Mach die Tür hinter dir zu und setz dich.«
Christian nahm auf dem Besucherstuhl Platz und schlug die Beine übereinander.
»Du hast natürlich von den Fingerabdrücken auf dem Kinderwagen gehört und von der Fahndung nach Iman Amin«, sagte Vincent.
»Es scheint, als hätten wir in Bezug auf Paolo Rocca Recht gehabt«, erwiderte Christian. »Ein Anarchist, der sich mit den Islamisten verbündete. Und Iman Amin interessiert mich.«
»Inwiefern?«
»Nicht sie persönlich. Aber ihr Hintergrund. Ich bin schließlich für die internationalen Analysen zuständig. Das bedeutet unter anderem, dass ich versuchen soll, herauszufinden, welche Faktoren zum Terrorismus führen. Interessiert es dich?«
»Natürlich.«
»Wenn man sich mit den Ansichten befasst, wie der Terrorismus zu bekämpfen sei, dann gibt es zwei Hauptrichtungen. Einerseits die Befürworter des schonungslosen Kampfes und
andererseits diejenigen, die meinen, dass Armut, Unterdrückung und Ausbeutung bekämpft werden müssen, um so dem Terrorismus seine Grundlagen zu entziehen. Die USA unter Bush gehören zu der Sorte der Schonungslosen. Sie verachten alle, die soft on terrorism sind. Israel begegnet jedem Angriff der Palästinenser mit zehnfacher Gewalt, manchmal auch hundertfacher wie 2004 in Gaza, als über hundert Palästinenser getötet und die Häuser von fast siebenhundert Menschen abgerissen wurden als Vergeltung für zwei jüdische Kinder in Sderot. Ganz zu schweigen von den Russen, denk nur an das Theater in Moskau und in Tschetschenien.« Vincent erkannte, dass Christians Darlegung genau wie bei ihrer ersten Begegnung ausführlich ausfallen würde. Damals war Vincent noch ungeduldig geworden, inzwischen hatte er mehr Respekt vor seinem Kollegen vom PET.
»Die andere Seite will im Grunde genommen nur die Machtstrukturen zugunsten der Menschen in der Dritten Welt verändern, den Konflikt in Israel lösen, gerechte Handelsbedingungen schaffen und den Menschen Hoffnung auf ein besseres Leben ermöglichen. Entziehe jenen die Voraussetzungen, die den Terrorismus propagieren. Politisch gesehen könnte man sagen, dass die Ansichten in rechts und links aufgeteilt sind.«
»Und was findest du?«, fragte Vincent.
»Dass beide Gruppen recht haben, es geht um die langfristige beziehungsweise kurzfristige Sichtweise.«
»Ach?«
»Terrorismus entsteht nicht einfach so. Ich glaube, man muss davon ausgehen, dass bestimmte Voraussetzungen das Fundament bilden. Eine solche Voraussetzung ist ein lang andauernder Konflikt mit kolonialen Vorzeichen, der sich nicht durch Verhandlungen lösen lässt. Wie in Israel, Tschetschenien, Nordirland, dem Baskenland. Mangel an Demokratie erhöht
das Risiko ebenfalls. Wie in der arabischen Welt. Oder in Ländern mit einer schwachen demokratischen Tradition. In Europa entstand der Terrorismus während der linken Welle in den 70er Jahren und zwar in Deutschland, Spanien, Griechenland und Italien. Also Ländern, die von
Weitere Kostenlose Bücher