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Der Geheimnistraeger

Der Geheimnistraeger

Titel: Der Geheimnistraeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kanger
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haben wir nur eine Aufgabe: diese Besatzer mit aller erdenklicher Kraft zurückzuschlagen.
Aber das muss die erste Schlacht einer viel längeren Offensive werden. Wir werden unser eigenes Land zurückerobern. Es ist an der Zeit, aufzuwachen! Sie wollen uns ausrotten. Das wird das dänische Volk nie zulassen.«
    Sie verließ das Rednerpult. Vor ihr saß eine vollkommen verstummte Versammlung Folketing-Delegierter, eine Versammlung, die dieser Frau mit dem blonden Haar und dem harten Zug um den Mund gegenüber schon viel zu lange geschwiegen hatte.

50. Kapitel
    Um zehn Uhr morgens stand fest, dass es an der Kopenhagener Börse einen Schwarzen Montag geben würde. Nachdem eine Stunde gehandelt worden war, war der Index um sieben Prozent gesunken. Dann wurde die Börse für den Rest des Tages geschlossen.
    Auch die anderen nordischen Börsen blieben von den Vorfällen in Dänemark nicht unbeeinflusst. Oslo fiel drei Prozent, Stockholm und Helsinki zwei, auch Frankfurt hatte Einbußen zu verzeichnen. London hatte noch nicht geöffnet, und auf der Wall Street war es erst vier Uhr morgens.
    Die Analysten waren sich einig: Die Unklarheit war schlimmer als der eigentliche Angriff. Der Aktienmarkt vertrug keine Unsicherheit. Die Händler waren Sicherheits-Junkies. Alle warteten jetzt auf irgendeine Mitteilung der Besatzer zu ihren Absichten.
     
    Vincent fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Seine Gedanken kehrten ständig zu seinem Gespräch mit Lydia zurück. Ihre Stimme war verändert gewesen, tonlos, ohne Wärme. Sie sagte, der Feind müsse bekämpft werden. Sie hätte Waffen erobert. Sie sprach von Verlusten.
    Er verstand das nicht recht, ahnte aber, was es bedeutete:
Verlust war die euphemistische Umschreibung des Soldaten für den Tod. Konnte der Panzerwagen ihr Werk gewesen sein? Wie war das möglich? Als sie seine Fragen nicht beantworten wollte, versuchte er sie dazu zu überreden, das Haus nicht zu verlassen und abzuwarten, bis die dänische Polizei und das Militär die Situation gelöst hatten. Er versuchte, ihr klarzumachen, dass sie sich selbst und andere gefährdete, wenn sie sich einmischte. Sie reagierte nicht auf seine Ermahnungen. Er schien nicht zu ihr durchzudringen.
    Nach dem Gespräch wurde er von einer Art Verzweiflung ergriffen. Er fühlte sich betrogen, erst von ihr und dann immer mehr von sich selbst. Er hatte sich in die Irre führen, faszinieren und ergreifen lassen. Zwischen ihnen war nichts passiert, in ihm aber umso mehr. Das Gespräch mit ihr war wie ein Fausthieb auf den Kopf gewesen. Er sah ein, dass er überhaupt nicht wusste, wer sie war, konnte es aber trotzdem nicht bleiben lassen, sich Sorgen um sie zu machen. Er versuchte sich zu überlegen, welche Folgen ihre Taten haben würden. Drei Bewohner der Stadt waren bereits ermordet worden. Die Rache für den Panzer war noch nicht erfolgt. Die Besatzer würden natürlich zu dem Schluss kommen, dass die dänische Polizei oder das Militär ihn zerstört hatte. Er fragte sich, wie die Polizeiführung und der Oberbefehlshaber zu agieren gedachten, ob man passiv auf die Vergeltung warten würde, die sicherlich blutig ausfallen würde, oder ob man versuchen würde, diese zu verhindern.
    Und was sollte er selbst unternehmen? Wie sollte er seinen Vorgesetzten von Lydia erzählen können? Wie erklären, warum sie ausgerechnet ihn angerufen hatte und woher er sie kannte. Konnte er verschweigen, welcher Taten er sie verdächtigte? Mehr als zwei Stunden waren seit dem Telefongespräch vergangen. Machte ihn das bereits zum Mittäter? Ging das wirklich so schnell? Oder hatte er diesen Schritt schon viel früher
getan, als er sie in seinem Sommerhaus in Tisvildeleje hatte wohnen lassen?
    Er fragte sich, wo sie seine Telefonnummer herhatte, begriff aber rasch, dass seine Nummer auf ihrem Display aufgetaucht sein musste, als er ihr Handy angerufen hatte. Er war unvorsichtig gewesen, die Dummdreistigkeit des Betörten.
    Sein Handy riss ihn aus seinen Gedanken. Es war Skov. Er bat Vincent zu kommen.
    Skov war nicht allein. Zwei Männer standen neben seinem Schreibtisch. Vincent kannte sie nicht.
    »Diese Herren sind vom PET«, sagte Skov. »Sie haben ein paar Fragen an dich.«
    Vincent setzte sich, obwohl ihn niemand dazu aufgefordert hatte und obwohl er jetzt zu ihnen aufschauen musste. Er ordnete sich freiwillig unter, der automatische Reflex des Schuldigen: sich zu beugen. Er legte die Fingerspitzen aneinander, um seiner Nervosität Herr zu werden.
    »Wie

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