Der Geheimnistraeger
Henning. »Wir rufen ihre Handys an. Die Nummern, die wir abgehört haben. Keine der Panzerbesatzungen hat jedoch bislang auf unsere Anrufe reagiert.«
»Diese Leute, die das Hotel angegriffen haben«, sagte der Staatssekretär des Justizministers Jens Baastrup, beendete den Satz dann aber nicht.
Er sah nacheinander den Oberbefehlshaber, den Reichspolizeichef und Knud Halsberg an. »Wie ist das zugegangen? Wie war das möglich? Wer war das?«
Auch auf diese Fragen erhielt er keine Antwort.
Lydia öffnete nur wenige Minuten, nachdem die Hubschrauber hinter dem Horizont von Korsør verschwunden waren, die Haustür zum Marktplatz. Sie hatte den Kampflärm aus Richtung des Hotels, das nur ein paar Straßen entfernt lag, gehört. Der BBC berichtete nichts, und auch das dänische Fernsehen hatte keine Bilder von den Vorfällen gebracht. Den Reporter, der direkt in die Kamera sprach, verstand sie nicht.
Als sie sich dem Hotel näherte, war alles still. Nur das Prasseln des brennenden Panzers auf der anderen Seite des schmalen Sunds war zu hören. Sie sah das vollkommen zerstörte Hotelentree und die Einschusslöcher in der Fassade. Auf der Straße lagen Unmengen Glasscherben. Rauch quoll aus der Lobby und schlängelte sich wie eine Schlange unter den Straßenlaternen entlang. Es roch nach Ruß, Pulver und Blut.
Ein Mensch lag auf dem Pflaster. Er trug eine Mütze mit Augenschlitzen. Unter ihm lag ein Sturmgewehr. Lydia näherte sich ihm langsam und packte den Lauf des Gewehrs. Mit der Waffe als Hebel drehte sie ihn auf den Rücken. Aus seiner Brust drang Blut. Der Mann war entweder tot oder befand sich in tiefer Bewusstlosigkeit.
Lydia schaute sich um. Kein einziger dänischer Soldat, keine Polizei, von angreifenden Truppen keine Spur. Sie kam zu dem Schluss: Diejenigen, die zugeschlagen hatten, hatten sich anschließend in Hubschraubern aus dem Staub gemacht. Die Geiseln hatte man zurückgelassen. Niemand kümmerte sich um sie. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
Sie hörte Schritte aus der Hotellobby und drückte sich an
eine Hauswand. Ein Mann trat zwanzig Meter vor ihr aus dem Entree. Er trug eine Mütze mit Augenschlitzen und hatte eine Waffe. Ohne Vorwarnung schoss sie ihm in den Rücken.
Mit erhobener Waffe stand sie vor dem Hotel. Aus dem Gebäude waren keine Geräusche zu hören. Niemand kam ins Freie. Nach zehn Minuten drehte sie sich um und ging in ihre Wohnung zurück.
Um 2.06 Uhr in der Nacht auf Dienstag setzten sich vierzig Leopardpanzer gleichzeitig von ihren Positionen östlich von Korsør aus in Bewegung. Sie näherten sich dem feindlichen Panzer, der auf der Anhöhe bei der nördlichen Auffahrt auf die E 20 stand. Zu diesem Platz war auch der einzige verbliebene Panzer östlich der Stadt gefahren. Die vierzig dänischen Panzer stießen auf drei feindliche. Der Vortrupp aus zehn Panzern machte einen guten Kilometer vor dem Gegner Halt. Der Befehlshaber der Staffel gab die Position des Gegners an die drei anderen Staffeln durch. Zehn weitere Leopardpanzer näherten sich dem Feind von Norden, weitere zehn fuhren Richtung Süden auf die drei Panzer auf der anderen Seite zu. Die verbleibenden zehn dänischen Panzer warteten hinter den Vortruppen ab.
Der Befehlshaber der Besatzer entdeckte die nördliche Flanke, aber nicht die südliche. Als sämtliche drei Kanonen nach Norden gerichtet waren, wurden zehn Granaten fast gleichzeitig von Süden aus abgefeuert. Sämtliche dänischen Panzer verwendeten Pfeilmunition, eine Art Granaten, die sich mit großer Energie von der Seite durch die Panzerung brannten und die feindlichen Leopardpanzer damit zum Erliegen brachten und die Menschen darin eliminierten. Keiner der Besatzer hatte die Gelegenheit, einen einzigen Schuss abzufeuern.
An der Brückenauffahrt wurde dasselbe Manöver wiederholt.
Die überlegene dänische Truppe umging den Feind rasch, traf aber jetzt auf stärkeren Widerstand. Den drei Panzern an der Brückenauffahrt gelang es, einen der angreifenden Panzer zu treffen, bevor die Schlacht vorüber war.
Zwei dänische Soldaten wurden verletzt. Sämtliche Besatzer in den Panzern waren tot. Kein Schuss war auf die Brücke abgefeuert worden. Sie verband immer noch die Inseln, eine Verknüpfung zur Welt da draußen.
Die Einsatztruppe der Polizei wurde, unterstützt von Fallschirmjägern, rasch in Schützenpanzern in die Stadt transportiert. Über tausend Mann besetzten jede Straßenkreuzung im Zentrum. Über Lautsprecher wurden alle
Weitere Kostenlose Bücher