Der Geheimnistraeger
verbliebenen Besatzer aufgefordert, sich zu ergeben. Das Hotel wurde in einer sorgsam geplanten Kommandoaktion gestürmt.
Ein Zimmer und ein Stockwerk nach dem anderen wurden ohne jeden Widerstand eingenommen. Nur die Suche der Sprengstoffexperten nach Sprengfallen hielt das Vorrücken etwas auf. Als die Truppe das letzte Zimmer im obersten Stockwerk erreicht hatte, fuhren die Krankenwagen vor. Die Sanitäter durften das Gebäude betreten. Sie stießen auf eine Unmenge Toter. Niedergeschossener und zersprengter Körper.
Als das Hotel evakuiert worden war, gab der Einsatzchef das entsetzliche Ergebnis bekannt. Nur drei Überlebende. Nur eine einzige Person, eine Frau, die im vierten Stockwerk gefunden worden war, schien körperlich unversehrt zu sein. Sie flüsterte ihren Vornamen: Doris.
56. Kapitel
Am Dienstagmorgen wurde überall wild darüber spekuliert, was in der Nacht eigentlich vorgefallen war. Die Journalisten verlangten Antworten. Die Politiker nahmen ihre Stellungen ein. Reichspolizeichef Thord Henning musste zugeben, dass das Hotel von einer unbekannten, bewaffneten Truppe gestürmt worden war, noch ehe die Polizei hatte eingreifen können. Das hatte fürchterliche Konsequenzen gehabt. Von den sechsunddreißig Geiseln im Hotel waren dreiunddreißig tot.
Die Zahl der Todesopfer war entsetzlich: Außer den dreiunddreißig im Hotel waren sieben Geiseln bereits vorher ermordet worden. Fünf Menschen waren den Granatangriffen auf verschiedene Wohnhäuser am Montag zum Opfer gefallen. Ein Polizist war schon am ersten Tag erschossen worden, und drei Personen waren in dem abgeschossenen Hubschrauber zu Tode gekommen. Insgesamt handelte es sich um 49 Todesopfer. Außerdem gab es etliche Verletzte.
Dazu kam der Verlust von fünfzig Leopardpanzern, die zehn, die von den Besatzern erobert worden waren, und die vierzig, die von den Terroristen bei ihrem Blitzangriff auf das Panzerregiment am Samstagmorgen zerstört worden waren. In Korsør waren an Gebäuden und Straßen umfassende Schäden entstanden.
Wie viele Besatzer genau unschädlich gemacht worden waren, war recht unklar. In den Panzern waren in der Nacht vierundzwanzig Mann zu Tode gekommen. In den anderen vier Panzern lagen fünfzehn verkohlte Leichen. Ein Mann war erschossen vor seinem Panzer auf dem Marktplatz aufgefunden worden. Im Hotel fand man 29 getötete Besatzer. Vor dem Hotel lagen zwei erschossene, maskierte Männer auf der Straße. Niemand wusste, ob die drei angeblichen Märtyrer vom Sonntag bei den aufgefundenen Terroristen waren, oder ob sich ihre Leichen irgendwo anders befanden. Niemand wusste, ob es einem der Terroristen gelungen war, dem Massaker im Hotel zu entkommen.
Die Vermutungen über die Herkunft der Kommandotruppe gingen in eine einzige Richtung: NATO. Alle gingen davon aus, dass ein Einsatzkommando der NATO heimlich darum gebeten worden war, im Hotel für Ordnung zu sorgen, als die Dänen gezögert oder dies nicht gewagt hatten. Dann war die Aktion außer Kontrolle geraten, genau wie 2004, als die Russen die Schule in Beslan gestürmt hatten. Alle Verantwortlichen, die Polizeiführung, das Oberkommando und die Regierung, wurden mit Fragen bestürmt. Die Kritik war schonungslos. Es half nicht, dass Ministerpräsident Rasmus Falck Pedersen kategorisch dementierte, dass eine NATO-Truppe den Angriff durchgeführt habe. Reichspolizeichef Thord Henning und Oberbefehlshaber Hans Enhørning wiederholten dieses Dementi. Niemand wusste, wer die Soldaten dieses Kommandos gewesen waren. Die Dementis verstärkten die Kritik nur noch. Dänemark hatte sich also nicht nur nicht gegen den Angriff der Terroristen verteidigen können, das Land war noch dazu ein zweites Mal eingenommen worden, von einer weiteren, unbekannten Truppe. Diese hatte sich zwar gegen die Terroristen gerichtet, aber zu einem untragbar hohen Preis in Form dänischer Todesopfer.
Die Führung versuchte den kritischen Fragen wenigstens vorübergehend zu entkommen. Die akuten Maßnahmen forderten ihre volle Aufmerksamkeit. Vor allen Dingen mussten die Toten identifiziert und die Angehörigen unterrichtet werden. Hinsichtlich der Hotelgäste hoffte man, dies im Laufe des Tages bewältigen zu können. Auch die Terroristen mussten identifiziert werden, aber das würde vermutlich bedeutend mehr Zeit in Anspruch nehmen. Vor Bewältigung dieser Aufgabe würde es keine erschöpfenden Antworten geben können.
Unter den toten Besatzern waren zwei Frauen. Beide befanden sich
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