Der Geheimnisvolle Eremit
ich weiß, daß sie schief stand, aber ich hätte nie gedacht, daß sie stürzen könnte. Und ihr habt ihn gefunden? Und Hilfe für ihn geholt?«
Die blauen Augen strahlten ihn warm an.
»Einige Männer von Eaton waren ganz in der Nähe damit beschäftigt, einen Abwassergraben zu ziehen. Sie tragen ihn.«
Inzwischen waren die Männer, die so schnell wie möglich gelaufen waren, an der Tür. Sie ging hinaus, um sie zu begrüßen, und Hyacinth folgte ihr dicht auf. Es schien, als habe er noch mehr und etwas ganz anderes zu ihr zu sagen, doch die Gelegenheit war vertan. Nun wartete er schweigsam und aufmerksam und sah zu, wie Eilmund ins Haus getragen und auf das Lager gebettet wurde. Man zog ihm sehr vorsichtig die nassen Stiefel und Hosen aus, und der Verletzte gab wieder ein gedämpftes Stöhnen und einige Flüche von sich. Sein linkes Bein war unter dem Knie abgeknickt, doch nicht so weit, daß der Knochen durch das Fleisch hervorstach.
»Ich habe etwa eine Stunde da im Bach gelegen«, quetschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus, während sie ihn behandelten. »Und wäre nicht dieser junge Bursche gekommen, dann wäre ich jetzt nicht hier, denn allein konnte ich den Baum nicht von meinem Bein heben, und niemand sonst war in Hörweite. Wirklich, der Bursche ist kräftiger, als man auf den ersten Blick glaubt. Ihr hättet sehen sollen, wie er den Baum von mir gehoben hat.«
Eigenartigerweise liefen Hyacinths schmale, glatte Wangen unter dem dunkelgoldenen Schimmer rot an. Er errötete gewiß nicht oft, aber er hatte diese Fähigkeit auch nicht völlig verloren.
Er sagte linkisch: »Kann ich noch etwas für Euch tun? Sagt es nur! Ihr braucht sicher eine geschickte Hand, um den Knochen einzurichten. Dabei kann ich nicht helfen, aber sagt es nur, wenn ich für Euch einen Botengang erledigen soll. Denn das kann ich am besten.«
Das Mädchen drehte sich vom Lager herum, und wieder strahlte sie ihn mit großen blauen Augen an. »Oh, das könnt Ihr, wenn Ihr so gut sein wollt. Wollt Ihr Bruder Cadfael in der Abtei bitten, zu uns zu kommen?«
»Das will ich gern tun!« antwortete Hyacinth so begeistert, als hätte sie ihm ein schönes Geschenk gemacht. Doch als sie sich wieder ihrem Vater zuwenden wollte, hielt er sie auf. Er faßte sie am Ärmel und hauchte ihr drängend ins Ohr: »Ich muß mit Euch reden – später und allein, wenn Euer Vater versorgt ist und Ruhe gefunden hat.«
Ihre Augen funkelten alles andere als ablehnend, doch bevor sie ja oder nein sagen konnte, war er schon hinaus und zwischen den Bäumen verschwunden, um sich auf den langen Rückweg nach Shrewsbury zu machen.
4. Kapitel
Hugh suchte Bruder Cadfael am Spätnachmittag auf und überbrachte ihm die ersten Neuigkeiten, die seit dem Beginn der Belagerung aus Oxford heraufgekommen waren.
»Robert von Gloucester ist wieder in England«, sagte er. »Ich erfuhr es von einem Waffenschmied, der klug genug war, rechtzeitig aus der Stadt zu fliehen. Ein paar Glückliche haben die Warnungen beherzigt. Er sagte, Robert sei trotz der Garnison des Königs in Wareham gelandet, habe all seine Schiffe sicher gelandet und die Stadt eingenommen. Nicht die Burg, noch nicht, aber er hat sich auf eine Belagerung eingerichtet. Er hat allerdings wenig Unterstützung von Geoffrey erhalten, vielleicht eine Handvoll Ritter, nicht mehr.«
»Wenn er sicher gelandet ist und die Stadt besetzt hat«, meinte Cadfael, »was will er dann noch mit der Burg? Er sollte doch eher stehenden Fußes nach Oxford eilen, um seine Schwester aus der Falle zu holen.«
»Er will wohl eher Stephen verlocken, zu ihm zu kommen und Truppen von seiner eigenen Belagerung abzuziehen. Der Mann sagt, die Burg in Wareham sei nicht allzu stark besetzt. Man habe einen Waffenstillstand ausgehandelt und nach dem König geschickt, damit dieser die Burg bis zu einem bestimmten Datum entsetze – der Mann wußte wirklich gut Bescheid, wenn er mir auch das Datum nicht sagen konnte –, und wenn der König nicht rechtzeitig kommt, werde sich die Garnison ergeben. Das sieht Robert ähnlich. Er weiß, daß es nicht schwer ist, Stephen von etwas abzulenken, aber ich glaube, diesmal hat der König sich festgebissen. Wann wird er je wieder so eine Chance bekommen? Nicht einmal er kann sie einfach vertun.«
»Die Dummheiten der Menschen sind unendlich«, erwiderte Cadfael verständnisvoll. »Um ihm Gerechtigkeit willfahren zu lassen, die meisten seiner Dummheiten sind großzügig, und das kann man
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