Der Geheimnisvolle Eremit
anderen und ohne jeden Spott: »Wahr gesprochen, und ich gebe dir recht, Richard. Wo können wir ungestört reden?«
Die Mitte des großen Hofes war vielleicht nicht der rechte Ort für ein vertrauliches Gespräch. Richard war sehr von diesem unverkennbar weltlich eingestellten Fremden eingenommen, den er in dieser mönchischen Umgebung als angenehme Abwechslung empfand. Er wollte, da sich jetzt die Gelegenheit bot, soviel wie möglich über ihn erfahren. Außerdem würde das Kapitel bald schließen, und er hatte nicht die Absicht, unter diesen Umständen Prior Roberts Aufmerksamkeit zu erregen oder sich Bruder Jeromes Neugierde auszusetzen. Er faßte Hyacinth zutraulich an der Hand und zog ihn über den großen Hof zur Pforte in der Mauer der Enklave, die als Abkürzung zur Mühle diente.
Dort, auf der Wiese über dem Teich, mit der Mauer im Rücken und dem dicken, federnden Gras unter den Füßen, konnten sie ungestört reden, während sie von der immer noch kräftigen, etwas verschleierten Mittagssonne gewärmt wurden.
»Nun denn!« sagte Richard und kam sofort zur Sache.
»Ich brauche einen Freund, der mir die Wahrheit sagt, denn es gibt so viele Leute, die mein Leben für mich ausrichten wollen und sich dabei doch nicht einig sind. Wie könnte ich auf mich selbst achtgeben und auf alles vorbereitet sein, wenn ich niemanden habe, der mir zuträgt, was sie beabsichtigen. Wenn du auf meiner Seite sein willst, dann kann ich mir überlegen, was ich tun soll. Willst du?«
Hyacinth lehnte sich bequem an die Abteimauer, streckte die wohlgeformten, kräftigen Beine aus und zog im Sonnenlicht die Augen etwas zusammen. »Natürlich kannst du das Beste aus deiner Lage machen, wenn du erfährst, was im Gange ist, Richard. Aber ich kann dir am besten helfen, wenn ich deine Beweggründe kenne. Ich kenne bisher nur das Ende der Geschichte, doch du kennst den Anfang. Wie wäre es, wenn wir alles zusammenlegen und sehen, was daraus entsteht?«
Richard klatschte in die Hände. »Einverstanden! Nun sag mir zuerst, welche Botschaft du heute von Cuthred gebracht hast!«
Hyacinth wiederholte, jedoch ohne die Stimme zu verstellen, Wort für Wort, was er schon im Kapitel vorgetragen hatte.
»Ich wußte es!« sagte das Kind und schlug eine kleine Faust ins dichte Gras. »Ich wußte, daß es irgendwie mit mir zu tun hatte. Also hat meine Großmutter sogar den heiligen Mann durch Schmeicheleien oder Überredung dazu gebracht, für ihre Interessen einzutreten. Ich habe schon gehört, was da in der Schonung passiert ist, aber so etwas passiert eben ab und zu, man kann es nicht verhindern. Du mußt deinen Herrn warnen, nicht auf sie hereinzufallen, auch wenn sie seine Gönnerin ist.
Erzähl ihm die ganze Geschichte, denn sie wird es von sich aus nicht tun.«
»Das will ich tun«, stimmte Hyacinth bereitwillig zu, »wenn ich sie kenne.«
»Hat dir noch niemand gesagt, warum sie mich nach Hause holen will? Kein Wort von deinem Meister?«
»Junge, ich erledige nur seine Botengänge, ich bin nicht sein Vertrauter.« Und es schien, als habe der Bote keine Eile, zu seinem Herrn zurückzukehren, denn er setzte sich noch etwas bequemer im Moos an der Mauer zurecht und schlug die schlanken Beine übereinander. Richard kroch näher heran, und Hyacinth rückte noch ein wenig herum, um den spitzen jungen Knochen, die sich an ihn lehnten, einen Halt zu geben.
»Sie will mich verheiraten«, erklärte Richard, »um die beiden Rittergüter neben meinem zu bekommen. Und nicht einmal mit einer richtigen Braut. Hiltrude ist alt – mindestens zweiundzwanzig…«
»Ein beträchtliches Alter«, stimmte Hyacinth ernst zu.
»Aber selbst wenn sie jung und hübsch wäre, wollte ich sie nicht. Ich will keine Frau. Ich mag keine Frauen. Ich brauche keine Frau.«
»Dann bist du hier am richtigen Ort, um ihnen zu entgehen«, bestätigte Hyacinth hilfsbereit. Seine Augen unter den langen kupfernen Wimpern glitzerten belustigt. »Werde Novize und ziehe dich aus der Welt zurück, dann bist du sicher.«
»Nein, dazu habe ich auch keine Lust. Hör zu, ich erzähle dir alles.« Und wortgewandt berichtete er von der drohenden Eheschließung und von den Plänen seiner Großmutter, ihr kleines Reich zu vergrößern. »Willst du also für mich die Augen offen halten und mir alles sagen, was ich wissen muß? Ich brauche jemanden, der ehrlich mit mir ist und mir nicht alles vorenthält, als wäre ich noch ein Kind.«
»Das will ich tun!« versprach Hyacinth
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