Der Geheimnisvolle Eremit
Fleisch ist kaum verletzt. Doch es ist schade, daß Ihr so weit getragen werden mußtet.«
»Ich wäre fast ertrunken«, knurrte Eilmund. »Das Wasser im Bach stieg schnell. Und Ihr richtet am besten dem Herrn Abt aus, daß er Männer schicken soll, die den Baum entfernen, weil wir hier sonst bald einen See haben.«
»Das will ich tun! Und nun gebt acht! Ich will nicht, daß später eins Eurer Beine kürzer ist als das andere.« Er faßte das gebrochene Bein an Ferse und Spann und zog, bis es wieder genauso lang war wie das gesunde Bein. »Und nun, Annet, legt Eure Hände genauso auf wie ich und haltet fest.«
Sie hatte die Zeit nicht mit untätigem Warten verschwendet, sondern gerade Holzlatten aus Eilmunds Lager, Schafswolle zum Polstern und zusammengerollte Leinenstreifen zum Verbinden bereitgelegt. Die beiden beendeten ihre Arbeit, und Eilmund entspannte sich auf seinem Lager und schnaufte schwer. Die Wangen seines braunen, wettergegerbten Gesichts waren fiebrig gerötet. Cadfael war etwas beunruhigt.
»Es wäre gut, wenn Ihr jetzt ruhen und schlafen könntet.
Überlaßt den Abt, den Baum und alles andere, was hier erledigt werden muß, nur mir; ich will mich schon darum kümmern. Ich will Euch einen Trank mischen, der die Schmerzen lindert und Euch ruhig schlafen läßt.« Er bereitete die Medizin zu und verabreichte sie dem Verletzten. Eilmund stritt zwar verächtlich die Notwendigkeit ab, schluckte sie aber dennoch ohne Protest.
»Er wird bald schlafen«, sagte Cadfael zum Mädchen, als sie sich in den vorderen Raum zurückzogen. »Aber sorgt dafür, daß er es die Nacht über warm hat, denn wenn er sich erkältet hat, könnte er ein leichtes Fieber bekommen. Ich will mir die Erlaubnis geben lassen, in den nächsten Tagen noch einige Male zu kommen, bis ich sehe, daß die Heilung gut verläuft.
Wenn er Euch Schwierigkeiten macht, dann ertragt ihn, denn das bedeutet nur, daß er nicht schwer verletzt ist.«
Sie lachte leise und unbekümmert. »Oh, in meinen Händen ist er wie Butter. Er knurrt, aber er beißt nicht. Ich weiß ihn schon zu nehmen.«
Es begann bereits zu dämmern, als sie die Haustür öffnete.
Im Himmel über ihnen hing noch der schwach goldene, feuchte, verzauberte Nachglanz des Tages, der sich zwischen den dunklen Ästen der Bäume, die den Garten umgaben, in gesprenkelten Lichtflecken zeigte. Und dort im Rasen am Tor saß Hyacinth reglos und wartete mit der zeitlosen Geduld des Baumes, an den er sich gelehnt hatte. Trotz seiner äußerlichen Ruhe wirkte er wie ein wildes, lauerndes Tier. Oder besser, dachte Cadfael, wie ein gehetztes wildes Tier, das sich zu Stille und Schweigen zwingt, um für den Jäger unsichtbar zu sein.
Sobald der Junge sah, daß die Tür geöffnet wurde, stand er mit einer einzigen fließenden Bewegung auf, trat jedoch nicht in die Einfriedung.
Ob Zwielicht oder nicht, Cadfael bemerkte den Blick, der zwischen dem Jungen und dem Mädchen gewechselt wurde.
Hyacinths Gesicht war reglos und starr wie Bronze, doch ein Funke des verblassenden Tageslichts fing sich als bernsteinfarbenes Leuchten in seinen Augen, stählern und geheimnisvoll wie bei einer Katze, und eine plötzliche Bewegung und ein Schatten tief in diesen Augen waren die Antwort auf Annets Erröten. Es war nicht weiter überraschend.
Das Mädchen war hübsch und der Junge zweifellos attraktiv, und dies um so mehr, als er ihrem Vater einen unschätzbaren Dienst erwiesen hatte. Und es war ganz natürlich und menschlich, daß durch diesen Vorfall zwischen Vater, Tochter und Retter enge Bande entstanden. Nichts ist angenehmer und erfreulicher als das Gefühl, ein gutes Werk getan zu haben.
Nicht einmal die Wohltat, Empfänger eines solchen zu sein.
»Dann will ich mich wieder auf den Weg machen«, sprach Cadfael in die gleichgültige Luft und stieg leise auf, um nicht den Zauber zu brechen, der die beiden gefangen hielt. Doch unter den schützenden Bäumen sah er sich noch einmal um.
Sie standen noch, wie er sie verlassen hatte, und Cadfael hörte die Stimme des Jungen klar und ernst in der Stille der Dämmerung. »Ich muß mit dir reden!«
Annet sagte kein Wort, doch sie schloß hinter sich leise die Haustür und ging ihm entgegen, um ihn am Tor zu treffen. Und Cadfael ritt versonnen lächelnd durch die Wälder. Nüchtern betrachtet gab es über diese Begegnung eigentlich nicht viel zu lächeln. Trotz aller gemeinsamen Erlebnisse bestanden zwischen diesen beiden nicht viele Gemeinsamkeiten: auf
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