Der Geheimnisvolle Eremit
mischen.
Doch in diesem Augenblick erhob sich eine vertraute, strenge Stimme. Der Sprecher stand genau in dem Torbogen, durch den die Kinder kommen mußten.
»Schweigt, ihr da! So kurz nach einem Gottesdienst will ich kein Geschwätz von euch hören! Wo habt ihr nur gelernt, euch so zu benehmen, nachdem ihr gerade noch an einem heiligen Ort wart? Zurück in Reih und Glied, immer zwei und zwei, und benehmt euch anständig.«
Richard erstarrte und wäre am liebsten mit der kalten Steinmauer verschmolzen. Er zog sich leise in die dunkelste Ecke der Nische zurück. Wie konnte Bruder Jerome nur auf die Idee kommen, die Prozession der Chormönche vorbeiziehen lassen, um die unschuldigen Kinder zu schelten? Er stand unbeweglich im Gang und scheuchte sie zu Zweierreihen zusammen. Richard konnte nur noch in seinem Versteck kauern und alle Hoffnung fahren lassen, in die frische Abendluft auf dem großen Hof zu entkommen. Er saß in der Falle. Von allen Brüdern war Jerome derjenige, vor dessen Augen er auf keinen Fall aus seiner Ecke kriechen wollte, um sich ermahnen und schelten zu lassen. Und nun waren die Jungen fort, einige Gäste der Abtei verließen gemächlichen Schrittes die Kirche, und immer noch stand Jerome im Gang und wartete. Richard konnte den schmalen Schatten auf den Bodenplatten sehen.
Und plötzlich wurde klar, daß er auf einen der Gäste gewartet hatte, denn mit dem kleinen Schatten vermischte sich ein zweiter, erheblich massiverer. Richard hatte den Mann gesehen; ein großer, muskulöser, energisch ausschreitender Mann mit einem Gesicht, massig und düster wie eine Sandsteinwand, bekleidet mit den teuren Gewändern eines Adligen, zwar kein Baron oder Gefolgsmann eines Barons, aber auf jeden Fall jemand, mit dem man rechnen mußte.
»Ich habe auf Euch gewartet, Herr«, sagte Bruder Jerome, von sich selbst eingenommen, aber respektvoll, »um ein Wort mit Euch zu reden. Ich habe über das nachgedacht, was Ihr uns heute morgen beim Kapitel gesagt habt. Wollt Ihr Euch ein paar Augenblicke mit mir niedersetzen, damit wir ungestört sprechen können?«
Richards junges Herz tat einen verzweifelten Sprung, denn er saß auf der Steinbank just in der Nische, welche die beiden Männer mit Sicherheit wählen würden. Seine Entdeckung stand unmittelbar bevor.
Doch aus irgendeinem Grund wollte Bruder Jerome sich noch etwas weiter zurückziehen; vielleicht um zu vermeiden, daß ein Nachzügler aus der Kirche, etwa der Sakristan, auf die Unterredung aufmerksam wurde. Jedenfalls zog er den Gast weiter bis zur dritten Nische, um sich dort mit ihm zu setzen.
Jetzt war der Weg frei, und Richard hätte ohne weiteres um die Ecke und aus dem Kreuzgang huschen können, doch er blieb, wo er war.
Reine menschliche Neugierde ließ ihn still und stumm und beinahe mit angehaltenem Atem abwarten. Er spitzte die Ohren.
»Dieser Missetäter, von dem Ihr gesprochen habt«, begann Jerome, »der Euren Aufseher angegriffen hat und dann fortgelaufen ist – wie, sagtet Ihr noch, war sein Name?«
»Sein Name ist Brand. Warum, habt Ihr von ihm gehört?«
»Nein, jedenfalls nicht unter diesem Namen. Ich glaube jedoch fest daran«, sagte Jerome tugendhaft, »daß es die Pflicht jedes anständigen Mannes ist, Euch zu helfen, den Übeltäter zu finden. Und ganz besonders ist es die Pflicht der Kirche, die stets für Recht und Gesetz eintreten und alle Kriminellen und Gesetzesbrecher ihrem gerechten Urteil zuführen muß. Ihr habt uns gesagt, dieser Bursche sei jung, etwa zwanzig Jahre alt? Bartlos, dunkelrotes Haar?«
»So ist es, jawohl. Kennt Ihr einen solchen Mann?« verlangte Drogo scharf zu wissen.
»Es muß nicht derselbe sein, aber es gibt hier einen jungen Mann, auf den die Beschreibung passen könnte, und er ist der einzige, der in der letzten Zeit in diese Gegend gekommen ist.
Es wäre vielleicht der Mühe wert, ihn in Betracht zu ziehen. Er kam mit einem Pilger her, mit einem heiligen Mann, der sich auf dem Gut von Eaton nur ein paar Meilen entfernt in einer Einsiedelei niedergelassen hat. Er dient dem Eremiten. Wenn er wirklich Euer Schurke ist, dann muß er sich bei diesem braven Mann eingeschlichen haben, der ihm in seiner Herzensgüte Schutz und Arbeit gab. Wenn dies so ist, dann ist es nur recht, daß seine Augen geöffnet werden, auf daß er erfährt, was für einen Diener er da aufgenommen hat. Und wenn dieser Diener nicht der richtige ist, dann ist kein Schaden geschehen. Ich habe ihn schon im Auge, seit er vor
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