Der Geheimnisvolle Eremit
einer Weile mit einer Botschaft zu uns kam. Er hat so etwas Unverschämtes an sich, das schlecht zum Dienstboten eines Heiligen passen will.«
Richard hockte reglos, die Arme um die Knie geschlungen, in seiner Ecke und spitzte die Ohren, um kein einziges Wort zu verpassen.
»Wo kann ich diese Klause finden?« fragte Drogo mit der Gier eines Menschenjägers in der Stimme. »Und wie nennt dieser Bursche sich jetzt?«
»Er nennt sich Hyacinth. Der Name des Einsiedlers ist Cuthred, und in Wroxeter oder Eaton kann Euch jeder sagen, wo er zu finden ist.« Jerome gab dem Gast bereitwillig genaue Anweisungen, wie der Weg zu finden war, und wenn aus der übernächsten Nische entsetzte kleine Geräusche gedrungen wären, dann hätte er sie in seinem Eifer gewiß nicht bemerkt.
Doch Richards nackte kleine Füße huschten geräuschlos über die Steinplatten, als er eilig durch den Bodengang und über den Hof floh, immer noch die Schuhe in den Händen tragend. Aber jetzt brauchte er nicht mehr zu befürchten, daß man ihn hörte, denn er war sicher aus der engen, dunklen Nische heraus, wo zwei Stimmen, eine selbstgerechte und eine wölfische, einen Plan schmiedeten, um Hyacinth zu fassen, der jung und gutmütig und immerhin sein Freund war.
Aber sie sollten ihn nicht bekommen, schwor Richard sich.
Ganz egal, wie genau Bruder Jeromes Wegbeschreibung auch war, dieser Mann, der den Missetäter fassen und sicher streng bestrafen wollte, mußte sich erst in der fremden Gegend zurechtfinden und an jeder Kreuzung überlegen, welches der richtige Weg war. Richard dagegen kannte jeden Pfad und konnte den kürzesten Weg nehmen. Er konnte schneller sein, wenn er nur sein Pony gesattelt durch das Torhaus schmuggeln konnte, bevor der Feind einem Knecht befahl, sein eigenes großes Pferd aufzuzäumen. Der Gedanke an das Zwielicht in den Wäldern ängstigte Richard keineswegs; vielmehr begann sein abenteuerlustiges Herz aufgeregt zu pochen.
Das pure Glück oder der Himmel war auf seiner Seite, denn es war die Stunde, da alle beim Abendessen saßen, und selbst der Pförtner im Torhaus saß bei Tisch und ließ einstweilen das Tor unbewacht. Wenn er die Hufe gehört hätte und herausgekommen wäre, um nachzuschauen, dann wäre er zu spät gekommen. Richard war rasch in den Sattel gesprungen und im Trott durch die Vorstadt nach St. Giles geritten. Er hatte sogar vergessen, daß er hungrig war, aber es tat ihm nicht leid, das Abendessen zu überspringen. Außerdem stand er in der Gunst von Bruder Petrus, dem Koch des Abtes, dem er später wahrscheinlich noch einen guten Happen abschmeicheln konnte. Er wollte nicht weiter darüber nachdenken, was geschehen würde, wenn man sein Fehlen bemerkte, was spätestens zur Schlafenszeit geschehen mußte. Wichtig war nur, daß er Hyacinth fand und warnte, damit dieser so schnell wie möglich floh und sich versteckte. Man hatte zur Jagd auf ihn geblasen, und die Häscher waren ihm auf den Fersen.
Danach sollte geschehen, was geschehen mußte.
Er bog hinter Wroxeter auf einem breiten Reitweg, den Eilmund zum Transport seines Schnittholzes geräumt hatte, in den Wald ein. Dieser Weg führte zur Hütte des Försters, doch er bot zugleich den raschesten Zugang zu einem Seitenpfad, der zur Einsiedelei führte, wo Cuthreds Diener natürlich zu finden sein mußte. Der Wald bestand hier hauptsächlich aus alten Eichen, es gab nur wenig und niedriges Unterholz, und dank der hohen Laubschicht auf dem Boden konnte er sehr leise reiten. Richard hatte seine Geschwindigkeit unter den alten Bäumen etwas verringert, und das Pony tappte frohgemut über den weichen Boden. Doch trotz der Stille hätte der Junge nie die Stimmen gehört, die leise und leidenschaftlich flüsterten.
Eine gehörte einem Jungen, die andere einem Mädchen, und man konnte die Worte, die nur für das Ohr des anderen bestimmt waren, nicht verstehen. Richard sah sie und hielt ein Stück vor der alten Eiche, unter deren Stamm sie standen, sein Pferd an. Die beiden berührten sich nicht, doch sie hatten nur Augen füreinander, und was immer sie zu sagen hatten, war ernst und äußerst wichtig. Als Richard sie anrief, fuhren sie auseinander wie aufgeschreckte Vögel. »Hyacinth!«
Er stürzte mehr von seinem Pony als daß er abstieg, und rannte ihnen entgegen.
»Hyacinth, du mußt dich verstecken – du mußt sofort fliehen!
Sie sind hinter dir her, wenn du Brand bist – bist du Brand? Da ist ein Mann gekommen, der dich sucht, er sagt, daß er
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