Der Geheimnisvolle Eremit
einen entlaufenen Missetäter namens Brand finden will…«
Hyacinth faßte ihn erschrocken und zitternd bei den Schultern und kniete nieder, um in gleicher Augenhöhe mit ihm zu sein. »Was für ein Mann war es? Ein Diener? Oder der Herr? Und wann war es?«
»Nach der Vesper. Ich hörte sie reden – Bruder Jerome erzählte ihm, daß ein junger Mann vor kurzem in diese Gegend gekommen sei, auf den die Beschreibung des Gesuchten passen könnte. Er erzählte ihm, wo du zu finden bist, und der Mann wird heute abend noch die Einsiedelei aufsuchen. Er ist ein schrecklicher Mann, groß und laut. Ich bin zu meinem Pony gerannt, solange sie noch geredet haben, um vor ihm aus dem Kloster zu kommen. Aber du darfst nicht zu Cuthred zurückgehen, du mußt sofort fliehen und dich verstecken.«
Hyacinth nahm den Jungen überschwenglich in die Arme.
»Du bist der beste, tapferste Freund, den sich ein Mann nur wünschen kann. Hab keine Angst um mich, denn was kann mir noch geschehen, da ich jetzt gewarnt bin? Es ist der Herr selbst, keine Frage; Drogo Bosiet muß große Stücke auf mich halten, daß er Zeit und Männer und Geld einsetzt, um mich zu finden, doch am Ende wird er nichts für seine Mühen bekommen.«
»Dann bist du dieser Brand? Und du warst sein Missetäter?«
»Ich liebe dich um so mehr«, antwortete Hyacinth, »weil du von meinen Missetaten wie von etwas Vergangenem sprichst.
Jawohl, der Name, den man mir vor langer Zeit gab, lautete Brand, doch ich wählte den Namen Hyacinth für mich. Du und ich, wir wollen bei diesem Namen bleiben. Und jetzt müssen wir beide uns trennen, mein Freund, denn du mußt rasch zur Abtei zurückkehren, bevor das letzte Tageslicht schwindet und bevor du vermißt wirst. Komm, ich bringe dich zum Waldrand.«
»Nein!« rief Richard verzweifelt. »Ich kann schon allein reiten, ich habe keine Angst, aber du, du mußt sofort verschwinden!«
Das Mädchen hatte Hyacinth eine Hand auf die Schulter gelegt. Richard sah, wie sie sich mit großen Augen, die im Zwielicht eher vor Entschlossenheit denn vor Angst glänzten, an ihn wandte. »Das wird er, Richard! Ich kenne einen Ort, an dem er sicher ist.«
»Du mußt versuchen, nach Wales hinüberzukommen«, sagte Richard ängstlich und sogar etwas eifersüchtig, denn dies war sein Freund, er war der Retter, und es schmeckte ihm nicht, wenn Hyacinth einen Teil seiner Rettung jemand anders und noch dazu einer Frau zu verdanken hatte.
Hyacinth und Annet wechselten einen kurzen Blick und lächelten, und die Wärme ihres Lächelns entzündete den ganzen Wald. »Nein«, erwiderte Hyacinth leise. »Wenn ich fortlaufen muß, dann will ich nicht weit laufen, aber hab keine Angst um mich, ich werde einen sicheren Platz finden. Und jetzt steig auf, junger Herr, und verschwinde, damit du in Sicherheit bist, denn vorher werde ich keinen Fuß vor den anderen setzen.«
Das brachte Richard sofort in Bewegung. Als er sich noch einmal umdrehte, um zu winken, sah er sie stehen, wie er sie verlassen hatte. Sie blickten ihm nach. Und noch ein zweites Mal drehte er sich um, bevor die Stelle, an der sie gestanden hatten, zwischen den Bäumen nicht mehr zu sehen war; doch inzwischen waren sie verschwunden, und der Wald lag still und schweigend. Richard erinnerte sich an seine eigenen Probleme und machte sich etwas ängstlich im Trab auf den Heimweg.
Drogo Bosiet ritt im beginnenden Zwielicht über den Weg, den Bruder Jerome ihm beschrieben hatte, und fragte herrisch die Dörfler in Wroxeter, ob er auf dem richtigen Weg zur Klause des Einsiedlers Cuthred sei. Anscheinend wurde der heilige Mann von den Leuten wie ein alter keltischer Eremit verehrt, denn die meisten, die Bosiet fragte, nannten ihn den heiligen Cuthred.
Drogo drang in der Nähe der Grenze zwischen den Ländereien von Eaton und Eyton in den Wald ein und erreichte nach knapp einer Meile auf einem schmalen Reitweg eine kleine, ebene Lichtung, die von dichtem Wald umgeben war.
Die Steinhütte in ihrer Mitte war stabil gebaut, doch sie war klein, hatte ein niedriges Dach und war allem Anschein nach erst vor kurzem nach Jahren der Vernachlässigung repariert worden. Ein kleiner, quadratischer Garten war mit einem niedrigen Lattenzaun eingefriedet, und ein Teil des Gartenlandes war gejätet und bepflanzt.
Drogo stieg am Rande der Lichtung ab und schritt, das Pferd am Zaumzeug führend, zum Zaun. Es herrschte tiefe Abendstille, und in einer ganzen Meile Umkreis schien es kein Lebenszeichen zu
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