Der Geheimnisvolle Eremit
wieder die Pferde gesattelt und waren ausgeritten, zweifellos über die Brücke in die Stadt, um Hugh Beringar in der Burg aufzusuchen. Bruder Cadfael hatte beabsichtigt, kurz im Herbarium und in seiner Werkstatt vorbeizuschauen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei und um Bruder Winfrid eine Arbeit zu geben, bei der er auch ohne Aufsicht möglichst wenig Unheil anrichten konnte. Danach wollte er noch einmal zu Eilmunds Hütte reiten.
Doch der Lauf der Ereignisse wollte es anders. An diesem Tag starb einer der greisen Brüder in der Krankenstation, und Bruder Edmund, der einen Gefährten brauchte, der mit ihm wachte, nachdem der müde alte Mann die letzten fast unhörbaren Worte seiner letzten Beichte geflüstert und die Sterbesakramente erhalten hatte, wandte sich zunächst und voller Vertrauen natürlich an seinen ältesten Freund und Verbündeten bei den Kranken. Sie hatten diesen Dienst schon viele Male zusammen verrichtet; der eine, Edmund, der von Geburt an im Kloster gelebt hatte, und der andere, Cadfael, der sich erst nach einem erfüllten Leben in der weiten Welt für das Kloster entschieden hatte. Sie bildeten die Gegenpole von oblatus und conversus, und sie verstanden einander so gut, daß sie nur wenige Worte brauchten.
Der alte Mann starb schmerzlos und federleicht, da sein ganzer einst scharfer und wacher Geist schon lange verflogen war, doch das Sterben ging langsam. Die verblassende Kerzenflamme flackerte nicht, sie wurde nur in absoluter Ruhe Sekunde um Sekunde dunkler, und sie zog sich so behutsam zurück, daß die beiden wachenden Brüder den Augenblick verpaßten, als der letzte Funke verlosch; erst als die Spuren des Alters aus dem Gesicht wichen und die Falten sich sanft glätteten, erkannten sie, daß er gestorben war.
»So mögen alle guten Männer verscheiden!« sagte Edmund inbrünstig. »Ein wahrhaft gesegneter Tod. Ich frage mich, ob Gott ebenso milde mit mir verfährt, wenn meine Zeit gekommen ist.«
Sie versorgten gemeinsam den Toten und traten in den großen Hof, um Anweisungen zu geben, daß seine sterblichen Überreste in die Friedhofskapelle überführt werden konnten.
Dann war da auch noch Bruder Pauls jüngster Schuljunge, der in jugendlichem Eifer eine Stufe verfehlt hatte, die halbe Treppe heruntergepurzelt und mit blutenden Knien auf dem Pflaster im Hof liegengeblieben war. Der Junge mußte aufgesammelt, gebadet, verbunden und danach mit einem Apfel zum Spielen geschickt werden – als Belohnung dafür, daß er so tapfer abstritt, verletzt zu sein. Erst dann konnte Cadfael in die Ställe gehen und das ihm zugeteilte Pferd satteln. Inzwischen war es schon fast Zeit für die Vesper.
Er führte gerade das Pferd quer über den Hof zum Torhaus, als Drogo Bosiet durch den Bogen hereingeritten kam. Seine schönen Gewänder waren nach dem anstrengenden Tag etwas zerknittert und staubig, sein Gesicht war düster, und Warin hielt sich etwas ängstlich einige Schritte hinter ihm, bereit, auf den leisesten Wink zu gehorchen, doch gleichzeitig vorsichtig genug, aus den Augen und außer Sicht zu bleiben. Offenbar hatte die Jagd nichts eingebracht, denn die Jäger kamen mit leeren Händen. Warin mußte an diesem Abend gewiß achtgeben, sich dem kräftigen Arm mit dem Siegelring fernzuhalten.
Cadfael ritt beruhigt und zufrieden durchs Tor und beeilte sich, seinen Patienten in Eyton zu erreichen.
5. Kapitel
Richard hatte den ganzen Nachmittag mit den anderen Jungen in den Hauptgärten der Abtei jenseits des Flusses verbracht, wo gerade die letzten Birnen geerntet wurden. Man hatte den Kindern erlaubt zu helfen und in bescheidenem Umfang auch zu naschen, obwohl das Obst nach der Ernte eigentlich noch reifen mußte. Doch diese letzten Früchte hatten lange genug am Baum gehangen, um bereits eßbar zu sein.
Es war ein schöner Tag voller Sonne und Freiheit gewesen, und die Jungen hatten an einer seichten Stelle im Fluß geplanscht. Nun, gegen Ende des Tages, widerstrebte es Richard, zur Vesper ins Haus zu gehen und danach zum Abendessen und ins Bett. Er trödelte am Ende der Prozession herum, die sich am Fluß entlang und den grünen, mit Büschen bewachsenen Abhang zur Vorstadt hinauf bewegte. In der Stille des Spätnachmittags tanzten Wolken von Mücken über dem Wasser und Fische sprangen müßig zu ihnen hoch. Unter der Brücke wirkte der Fluß wie ein stehendes Gewässer, obwohl Richard natürlich wußte, daß die Strömung schnell und tief war.
Dort hatte einmal eine Mühle
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