Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Nicken die Trinkflasche. Helene fühlte sich ertappt, nahm jedoch dankbar an.
»Was sind denn das für Bäume?«, fragte sie. »Die sehen ganz anders aus als daheim.«
»Eukalypten, weit und breit nichts als Gum Trees.«
Georg nahm eine Hand vom Zügel, mit der er dann einen weiten Bogen beschrieb. »Sie werden hier vergeblich nach Eichen oder Birken Ausschau halten. Der mächtige Baum da vorne – Eukalyptus. Der mit dem schlanken Stamm hier oder der da drüben mit der silbrigen Borke – ebenfalls Eukalyptus. Und können sie die Gruppe mit der weißgrauen Borke dahinten erkennen? Geistereukalyptus. Nachts stehen sie so unheimlich in der Landschaft, dass sie an Gespenster erinnern.« Er lachte, als er ihr erschrockenes Gesicht sah. »Keine Angst, sie tun keinem etwas zuleide.«
Helene nahm einen weiteren Schluck, wischte sich über den Mund und gab die Flasche zurück. Insgeheim musste sie lächeln, denn sie wusste, dass Georg nicht aus eigener Anschauung wissen konnte, wie eine deutsche Eiche aussah. Georg und sein Bruder, Pastor Johannes, hatten das Licht der Welt in Neu Klemzig erblickt. Deutsch war zwar ihre Muttersprache, aber das Land ihrer Vorfahren hatten sie selbst nie gesehen. Helene schüttelte ungläubig den Kopf; dies alles war so fremd und doch gleichzeitig eigenartig vertraut, so als hätte der Herr sie in einem Traum schon einmal hierhergeführt.
Sie hörte die Papageien, bevor sie sie sah. Ein wohl hundertköpfiger Schwarm flog unter krächzendem Protest vor ihrem Karren auf und flatterte in alle Richtungen davon. Helene war von ihrem Sitz aufgesprungen, um einen besseren Blick auf die farbenprächtigen Vögel zu haben.
Gottfried, der ebenfalls vorne saß, wandte sich nur so weit um, wie es nötig war, um ihr einen strengen Blick zuzuwerfen.
»Mein Kind, wenn dich jede unbekannte Pflanze oder Kreatur gleich von deinem Sitz aufscheucht, wirst du bald kaum mehr die nötige Kraft für unsere Aufgabe haben.«
Helene gefror bei seinen Worten, nahm sofort wieder Platz und saß nun stocksteif.
Ihr Beschützer drehte sich ganz zu ihr um.
»Nur dafür sind wir doch aber hier, ist es nicht so? Zum Wohl der Gemeinde, nicht zu unserem Vergnügen, nicht wahr, meine kleine Helene?«
Maximilian und Georg verstummten in ihrem Gespräch und tauschten einen kurzen Blick aus. Helene schaute beschämt zu Boden. Gottfried hatte recht, sie musste lernen, sich besser zu beherrschen. Sie war hier, weil eine Aufgabe auf sie wartete.
»Entschuldige, Gottfried. Das war töricht, es wird nicht wieder vorkommen.«
Maximilian räusperte sich und stupste seinen Sohn an. »Besser, du gibst den Gäulen die Peitsche, sonst schaffen wir es nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit.«
Den Rest des Weges schwieg Helene. Sie wunderte sich nur noch still, als sie drei weiße Kakadus mit ihren imposant gezackten Kämmen im Baum sitzen sah. Schweigend blickte sie ihnen nach, wie sie ihre Flügel spreizten und – vom Lärm der Pferdehufe aufgeschreckt – mit einem lauten Krächzen davonflogen. Selbst dieses seltsame, große Tier mit dem langen Schwanz und dem fuchsartigen Fell, das ihr scharfer Blick in der Ferne ausgemacht hatte, ließ sie unerwähnt. Dabei hätte sie Georg nur zu gerne danach gefragt, traute sich aber nicht recht, und bevor sie noch länger überlegen konnte, ob sie nicht doch eine vorsichtige Bemerkung wagen sollte, war das komische Vieh auch schon wieder aus ihrem Sichtfeld gehüpft.
Das war es also, Neu Klemzig, der Himmel auf Erden. Die Sonne stand schon tief, tauchte die Landschaft in ihr goldenes Licht. Das Erste, was Helene auffiel, war der Kirchturm. Sie hatte nicht recht gewusst, was sie erwarten sollte. Sie hatte vor Augen, was man sich in Salkau erzählte: dass die ersten Häuser in Neu Klemzig primitiv gewesen seien, schlicht aus Stroh und Lehm gebaut, die Kirche aus groben Holzbrettern gezimmert. Doch nun konnte sie schon von weitem erkennen, dass die Kirche nicht einfach aus Holz errichtet war. Sie war aus Stein, wie daheim – und auf dem Kirchturm posierte stolz der Wetterhahn, den noch ihr Onkel, der Schmied in Salkau war, angefertigt hatte. Der Gockel drehte sich nicht, es wehte kein Lüftchen, doch er blickte in ihre Richtung. Helene war jetzt so aufgeregt, dass ihr plötzlich übel wurde. Sie kämpfte mit sich, ob sie Georg bitten sollte, kurz anzuhalten, damit sie sich im Schutz eines Baumes erbrechen könnte. Wie peinlich, doch ihr Magen sagte ihr, dass sie keine andere Wahl
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