Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Helene. Mein Name ist Georg, ich bin der jüngste Sohn von Pastor Maximilian. Herzlich willkommen in unserer Gemeinde!«
Damit schüttelte er herzlich ihre Hände. Es dauerte noch ein paar Sekunden, ehe Helene sich traute, dem jungen Mann ins Gesicht zu sehen. Sie schaute in die freundlichsten grünen Augen, die sie jemals gesehen hatte. Ihre dunklen Augen lächelten zurück.
Nun, da die Straße bergan führte, verlangsamten die Gäule ihren Schritt. Sie konnten den leichten Trab, mit dem sie den Karren durch Adelaide gezogen hatten, nicht mehr halten. Anfangs hatte Helene noch versucht, dem Gespräch der zwei alten Männer aufmerksam zuzuhören, doch schon bald hatte das städtische Treiben sie abgelenkt. Adelaide war bezaubernd – die Stadthäuser, Gärten und Geschäfte sahen so ganz anders aus als die, welche Helene von zu Hause kannte. Sie mochte nicht glauben, dass diese Stadt am anderen Ende der Welt vor kaum mehr als fünfzig Jahren gegründet worden war. Alles, was eine richtige Stadt ausmachte, war vorhanden. Und vielleicht sogar noch mehr. Helene hatte außer Hamburg – und da eigentlich auch nur den Hafen – noch keine richtige Stadt gesehen. So wusste sie nicht, ob andere Städte ebenfalls mit solch breiten Straßen wie dem Victoria Square aufwarten konnten. Welch ein reger Kutschenverkehr! Und was war das dort drüben? Helene verrenkte sich fast den Hals, als sie der von einem Gaul gezogenen Tram nachblickte. Als diese hielt, strömten Menschen gleich dem Treiben im Bienenstock hinein und heraus. So etwas hatte sie noch nie gesehen!
Die North Terrace säumten imposante Regierungsgebäude wie das Parliament House, doch am meisten hatte es Helene die Rundle Street angetan, eine geschäftige Straße, wo tadellos herausgeputzte Bürger an den Schaufenstern der zahlreichen Geschäfte vorbeiflanierten. Manche blieben stehen und betrachteten in aller Ruhe die Auslagen.
Und die Kirchen! Wie viele Kirchen es hier wohl gab? Helene hatte schon fünf gezählt, und dabei waren sie noch gar nicht lange durch die Stadt gefahren. Sie drehte sich immer wieder nach allen Seiten um, wollte nichts von dem verpassen, worauf Georg oder Maximilian sie hinwiesen. Hier! Der Markt, der alles zu bieten hatte, was das Umland hergab. Und dort! Der Polizist in schneidiger Uniform, der mit den zwei Ladys sprach, die sich mit Sonnenschirmen vor der Hitze zu schützen versuchten. Jetzt nahm er ihnen die Schirmchen ab und hielt sie den Damen, die sich rechts und links bei ihm untergehakt hatten, über den Kopf, während alle drei gemeinsam die Straße überquerten. Wie städtisch elegant sie die Röcke rafften!
Diese Stadt war so fremdartig, so anders als das ländliche Salkau, und doch so einladend, so faszinierend. Und wie idyllisch Adelaide am Fuße der grünen Hügelkette lag! Fast zärtlich schmiegte sich die Stadt landeinwärts an üppig dichte Wälder, während sich im Süden nichts als das ewig blaue Meer vor ihr ausbreitete. Einen schöneren Ort konnte sich Helene nicht vorstellen, in Deutschland jedenfalls gab es für sie nichts Vergleichbares.
Das Meer hatte sie zum ersten Mal gesehen, als Gottfried und sie vor mehr als sechs Wochen zum englischen Hafen Southampton aufgebrochen waren, um von dort mit der Ophir die große Reise nach Australien anzutreten. Schon die rauhe See zwischen Hamburg und England hatte Helene zum Staunen gebracht, doch das grünblaue Meer hier, darüber dieses klare Licht, die warmen Farben – das alles war einfach unbeschreiblich schön.
Helene wollte die Stadt einsaugen und von ihr umarmt werden. Am liebsten hätte sie einen Rundgang durch den Ort unternommen, aber es stand ihr natürlich nicht zu, diesen Wunsch laut zu äußern. Es war wohl auch besser, sie wollte doch genau wie Gottfried so schnell wie möglich in die Adelaide Hills, dorthin, wo hoch oben das Dorf ihrer Sehnsucht lag – Neu Klemzig.
Sie sah sich ein letztes Mal um, bevor sich der Ausblick auf die größte Stadt im Süden Australiens verlor und der Weg zu ihrem Ziel, dem deutschen Dorf, sich durch herrliche Wälder ganz langsam bergaufwärts wand.
Helene schaute nach oben, die Augen mit der Hand vor der Sonne schützend, und blinzelte durch die Baumkronen in den Himmel. Nie hatte sie ein gleißenderes Licht gesehen, nie ein strahlenderes Blau. Und wie heiß es war! Sie verschaffte sich Luft, indem sie den Halskragen ein wenig abhielt. Georg hatte sie wohl beobachtet, denn er reichte ihr mit einem ermunternden
Weitere Kostenlose Bücher