Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
begeistert berichtet hatte. Sie würde ein Teil dieses Himmels auf Erden werden.
Jetzt machte sie vorne am Bug einen dunklen Schatten aus, der langsam größer wurde und ab und zu den Hut lüftete, um die an Deck flanierenden Herrschaften zu grüßen. Gottfried. Helene versuchte hektisch, ihr zerzaustes Haar zu ordnen und unter die Haube zu bringen. Ihre geschickten Hände arbeiteten schnell und genau, doch eine wilde Strähne schien die neugewonnene Freiheit partout nicht aufgeben zu wollen. Zu spät. Gottfried stand schon vor ihr.
»Verlierst du gerade den Kampf mit den Elementen, mein Kind? Dann lass dir von einem alten Streiter beistehen, der weiß, wie man Wind und Wetter trotzt.«
Helene senkte den Blick und knickste. Gottfried setzte ein Lächeln auf, während er die freche Strähne mit einer langsamen Bewegung unter ihre Haube schob. Seine Hand verweilte für einen Moment auf ihrer Wange.
»Danke, Gottfried. Diese Brise … So einen Wind kenne ich aus Salkau nicht.«
Gottfried schaute sie fragend an, und da Helene sich bei einer kleinen Lüge ertappt fühlte, errötete sie.
»Hast du deine Kiste gepackt? Keine halbe Stunde, und wir legen an.«
Seine dürren Finger hielten nun das Geländer umfasst, sein Blick hatte sich längst von Helene abgewandt; er starrte auf den Horizont.
»Oh, danke für den Hinweis! Ich schau besser nach, ob ich auch nichts vergessen habe. Ich sehe Sie dann an Land, lieber Gottfried!«
Damit eilte Helene in ihre Kabine, wo sie wenig später den Schlüssel im Schloss der roten Zedernkiste gerade noch rechtzeitig umdrehte, bevor der Steward bei ihrer Kabine haltmachte, um das Gepäck an Deck zu tragen.
Es kam Helene wie eine Ewigkeit vor, bis sie das Schiff verlassen konnten, doch nun war es endlich so weit. Ihr junges Herz pochte wie wild, als sie begann, die Bootsrampe hinunterzueilen. Gottfried hielt sie am Arm zurück.
»Nicht so schnell, mein Kind! Du brichst dir sonst noch die Rippen, bevor wir überhaupt an Land sind!«
Gottfried lachte selten, doch wenn er es tat – so wie jetzt –, dann hatte es etwas Düsteres, Dunkles. Helene hielt sofort inne. Es gehörte sich nicht, dass sie vor Gottfried das Schiff verließ.
»Sie haben recht, Gottfried, verzeihen Sie!«
Sie drehte sich zur Seite, damit ihr Beschützer an ihr vorbeikonnte. Gottfried nickte, schaute dann nach vorne, das Kinn erhoben, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Als er Maximilian erkannte, hob er gemächlich die Hand zum Gruß, die er dann, während er sich dem Glaubensbruder näherte, ausstreckte.
»Gott zum Gruße, mein lieber Maximilian. Es sind doch einige Jahre verstrichen, da wir uns zum letzten Mal die Hände schüttelten.«
Maximilian ging auf die große Gestalt zu und umfing die Hand des Glaubensbruders mit beiden Händen.
»Gott zum Gruße, mein Freund«, erwiderte er innig. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich … wie sehr sich die gesamte Gemeinde freut, dich in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen, Bruder!«
Helene, deren Körper hinter dem Gottfrieds verschwunden war, reckte nun ihren Kopf über Gottfrieds Schulter. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Gutes Benehmen hin oder her, sie konnte sich doch nicht die ersten Willkommensworte auf dem neuen Kontinent entgehen lassen!
»Ah, das muss unsere Helene sein, wenn mich nicht alles täuscht.«
Maximilian schob mit einer sanften Geste Gottfried aus dem Weg, um Helene zu umarmen.
»Helene, gutes Kind. Herzlich willkommen auch du!«
Damit drückte der alte Mann ihr ein Küsschen links und eins rechts auf die Wange. Helene schoss das Blut in die Wangen. Diese körperliche Herzlichkeit war ihr neu, und sie fühlte sich peinlich berührt, obwohl sie sich über die gefühlvolle Begrüßung freute. Sie machte wieder einen Knicks und senkte den Blick. Maximilian hob ihr Kinn an.
»Nicht so schüchtern, mein Kind! Du hast dich tapfer auf einen so langen Weg begeben, da wird dich doch ein alter Mann wie ich nicht einschüchtern können, oder?«
Sein weißer Bart wippte, als er jetzt lachte, und dann fiel eine andere, viel jüngere Stimme ins Gelächter ein. Helene blickte auf und sah einen hochgewachsenen jungen Mann, der nun auf sie zutrat. Helene streckte sich, strich sich nervös über ihr Kleid. Dann knickste sie wieder – sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun sollen. Der junge Mann berührte sie an den Schultern, um sie aufzurichten.
»Das brauchen Sie vor mir doch nicht zu tun,
Weitere Kostenlose Bücher