Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
seine Macht innerhalb der Kirche nicht unterschätzen. Wer Gottfried als Gegner hat, lebt gefährlich.«
Helene hatte sich vom Schmied dessen Vollblüter ausgeliehen, um hinaus zur Schneise reiten zu können. Sie war eine geübte Reiterin. Schon als kleines Mädchen hatte sie auf dem elterlichen Bauernhof die Zügel in der Hand gehalten. Von den Satteltaschen stieg der Duft frisch gebackenen Brotes auf. Es war zwar nicht so gut wie das des Bäckers, aber solange der noch im Barossa Valley über den Verlust seiner Bäckerei hinwegzukommen suchte, mussten die Frauen des Dorfes das Brotbacken eben selbst in die Hand nehmen. Außerdem hatte Helene jede Menge saftigen Speck eingepackt. Die Eier hatte sie sicherheitshalber schon aufgeschlagen und in Trinkbehälter gefüllt. So konnten sie gleich in die Pfanne gegeben werden, die sie ebenfalls mitbrachte. Normalerweise hätte sie den kurzen Ritt in vollen Zügen genossen. Wenn der Tag erwachte und das erste, rosige Licht die Welt in einen sanften Schein hüllte, fühlte sich Helene am lebendigsten. Doch heute war alles anders. Zu sichtbar waren schon im Licht des frühen Morgens die Spuren der Verheerung. Wie würde es erst bei der Schneise aussehen?
Die Männer sahen fürchterlich aus. Ihre Gesichter, ganz verdreckt vom Ruß, waren kaum zu erkennen. Sie hatten gerade damit begonnen, die Koppeln und Weiden auf Brandschäden hin zu untersuchen. Die Männer rechneten damit, dass viele Meter Zaun zerstört worden waren. Doch die größte Sorge bereitete ihnen das Vieh, vor allem die Schafe, die erst im Januar gelammt hatten. Sie konnten nur hoffen, dass die Muttertiere ihre Lämmer aus dem Feuer hatten führen können. Die Bauern hatten es deshalb eilig, wollten auf ihre Weiden, um sich endlich ein Bild vom wahren Ausmaß ihrer Verluste zu machen. Trotz dieser spürbaren Unruhe konnte Helene die meisten überreden, erst noch ein Frühstück zu sich zu nehmen. Damit es schneller ging, schnitten die Männer das Brot selbst, und Johannes briet den Speck. Helene erntete Lob für ihren Einfallsreichtum, als sie die Eier aus der Trinkflasche in die zischende Pfanne gleiten ließ.
Das Frühstück war in rekordverdächtiger Zeit verzehrt, die Männer bedankten sich und machten sich auf den Weg. Als Johannes und Georg sich ebenfalls anschickten zu gehen, um das Teilstück zu durchkämmen, für das sie eingeteilt waren, hielt Helene sie für einen Augenblick zurück.
»Habt ihr was dagegen, wenn ich mitkomme? Ich möchte sehen, was das Feuer hier draußen angerichtet hat.« Die Brüder sahen einander fragend an. Jetzt erst wurde Helene bewusst, dass sie die beiden soeben geduzt hatte, doch noch ehe sie sich dafür entschuldigen konnte, sagte Johannes: »Gut, komm mit. Wir können wegen dir aber nicht langsamer reiten.« Helene lächelte und schwang sich auf den Vollblüter. »Das ist auch gar nicht nötig.«
Seit fast zwei Stunden erklomm die kleine Truppe schon die verwüstete Anhöhe. Von hier oben konnten sie sich erstmals einen Überblick über das Ausmaß der Katastrophe verschaffen. Ringsum sahen sie nichts weiter als Ruß und verkohlte Landschaft, abgeflammte Äste ragten traurig in den Himmel, kein grüner oder auch nur gelbbrauner Halm weit und breit. Sie sprachen kaum, die Düsternis der Umgebung legte sich auf ihr Gemüt wie Flugasche auf verbrannte Erde. Bevor sie in das schwarze Feld von Baumstrünken hineinritten, das gestern noch ein Akazienhain gewesen war, verabschiedete sich Georg. Er hatte Jakob versprochen, seinen kleinen Weidegrund jenseits der Anhöhe zu begutachten. Jakob Herder war der Erste gewesen, der das Feuer gesehen hatte, weil sein Hof draußen vor Neu Klemzig lag.
»Wir treffen uns dann in einer Stunde südlich der Leipold-Koppel, unterhalb der Tränke oder was von ihr übrig geblieben ist.« Georg hob die Hand zum Abschied und trabte davon.
Wären da nicht das gleißende Sonnenlicht und der strahlend blaue Himmel über ihnen gewesen, Helene hätte sich am Ende der Welt geglaubt. Nichts als Zerstörung um sie herum. Der Sommertag erschien ihr fast wie Hohn. Sie ritten eine Zeitlang schweigend nebeneinander her, zu viele verbrannte Tiere sahen sie auf ihrem Weg. Sie hatten die Aufgabe, eine Schätzung abzugeben, wie viele Tiere vom Feuer erfasst worden waren. Daher mussten sie dicht an die schwarzen Haufen heranreiten, sonst hätten sie nicht sagen können, ob es eine Kuh oder ein Schaf gewesen war, was das Feuer bis auf diesen grässlichen Rest
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