Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
aufgefressen hatte.
»Glaubst du, dass die meisten der Tiere verbrannt sind?« Helene duzte Johannes nun wie selbstverständlich.
»Ich hoffe nicht. Der Zaun ist an einigen Stellen zerstört worden. Viele Tiere konnten sicherlich ins Tal flüchten. Wenn die Männer vom Taltrupp zurückkehren, wissen wir mehr.«
Helene hielt den Blick auf den Boden geheftet. Plötzlich sah sie, wie sich vor ihr auf dem dunklen Boden etwas bewegte. Es war nicht groß und eher braun als schwarz. Als sie näher kam, erkannte sie das Tier. Ein Joey, ein Känguru-Baby, das hellbraune Fell über und über mit Ruß bedeckt. Sie glitt geräuschlos aus dem Sattel und schlich sich an das zitternde Fellknäuel heran. Neben dem Tier kniend, hob sie das verlorene Bündel hoch, besah es von allen Seiten, um es dann vorsichtig an ihre Brust zu drücken. Es wehrte sich nicht.
»Es zittert am ganzen Leib, scheint aber nicht verletzt zu sein.« Sie strich dem Joey übers Fell. Johannes war mittlerweile ebenfalls abgestiegen und kniete neben Helene. Sachte fuhr er mit der Hand über den weichen Rücken.
»Ein Eastern Grey. Seine Mutter muss es wohl in der Panik verloren haben. Und was fangen wir jetzt mit dem Wollknäuel an?«
»Wird seine Mutter nicht nach ihm suchen?« Eine andere Möglichkeit hatte Helene noch gar nicht in Betracht gezogen.
»Eher unwahrscheinlich. Außerdem könnte sie ebenso gut tot sein.« Helene sah auf das bebende Wesen in ihren Armen und musste plötzlich weinen. Johannes sah sie bestürzt an.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Bestimmt lebt die Mutter des Kleinen noch.« Johannes legte tröstend den Arm um sie. Helene sah ihn mit geröteten Augen an und winkte ab, wie um sich für ihren Gefühlsausbruch zu entschuldigen.
»Aber darauf können wir uns doch nicht verlassen. Können wir es nicht mitnehmen, nach Hause, meine ich?« Sie hatte Annas Angebot angenommen, bei den Peters zu wohnen, wenn sie in Neu Klemzig war. Johannes überlegte kurz.
»Warum nicht? Hinter der Scheune ist genug Platz. Ich muss nur einen Zaun ziehen.« In ihrer Begeisterung drückte Helene ihm einen Dankeskuss auf die Wange. Davon überrascht, wandte ihr Johannes das Gesicht zu, und ihre Lippen streiften sich für den Bruchteil einer Sekunde. Johannes zuckte erschrocken zusammen, doch Helene wich nicht zurück. Sie sah ihm in die Augen. Er wirkte noch immer erschrocken, doch hielt ihrem Blick stand. Die Zeit schien stillzustehen, dann fanden sich ihre Lippen, und sie küssten sich.
Oben auf dem Hügel stand Georg und sah seinen Bruder mit der Frau, die er heiraten wollte. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Nach einer Weile lenkte er sein Pferd seitlich, bis er weit genug entfernt war, um, von Johannes und Helene unbemerkt, zur Tränke hinabzureiten.
Magnetic Island, 6. Februar 2010
P ünktlich zur verabredeten Zeit stand Natascha am alten Jetty und wartete darauf, aufs Tauchboot gelassen zu werden. Sie war nervös, denn heute würde sie zum ersten Mal zur Yongala tauchen. Ihre Knie wurden ganz zittrig, sobald sie nur daran dachte, doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Immerhin hatte sie als teure Vorbereitung auf diesen Tag zwei Tauchkurse gebucht und erfolgreich absolviert. Sie war nun schon zweieinhalb Wochen in Australien, mehr als die Hälfte ihres Urlaubs lag bereits hinter ihr. Hoffentlich hatte sie ihre Zeit auf Magnetic Island nicht sinnlos vergeudet. Auf dem Papier galt sie als fortgeschrittene Taucherin, die Praxis sah allerdings anders aus. Auf fünfunddreißig Meter würde sie sich heute sinken lassen müssen, so tief wie noch nie zuvor. Sie würde den Wasserdruck spüren, der ihre Lungenflügel zusammenquetschte, jedes Mal wenn sie die Luft aus dem metallischen Zylinder sog. Falls ihr da unten schlecht werden sollte oder sie es mit der Angst zu tun bekam, konnte sie nicht einfach wieder zurück an die Oberfläche. Wer so tief taucht, muss erst einen sogenannten Dekompressionsstopp einlegen, was in ihrem Fall bedeutete, dass sie sich in zehn Metern Tiefe für zehn Minuten ans Seil hängen musste, ehe sie langsam auftauchen durfte. Tat sie das nicht, riskierte sie, ein Opfer der berüchtigten Taucherkrankheit zu werden, die, verursacht durch Gasblasen im Körper, sie schlimmstenfalls das Leben kosten könnte. Trotz der Sommertemperaturen begann Natascha zu frieren. Es schauderte sie auch, weil sie die alten Geschichten von den Seemonstern nicht abzuschütteln vermochte. Alan hatte ihr von den Berichten
Weitere Kostenlose Bücher