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Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)

Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)

Titel: Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Dutton
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heimlich. Es wäre aber auch undenkbar gewesen. Die Junkers arbeiteten und beteten. Fürs Gefühlige waren andere zuständig. Auf dem Hof war kein Platz für störende Befindlichkeiten. Mutter hatte sich Vaters gestrengem Regime gebeugt, Gefühle waren etwas für Waschweiber oder Schwächlinge, die es zu nichts im Leben brachten. Beides ließ sich sicherlich nicht über ihre Mutter sagen. Wie gerne würde sie jetzt mit ihr sprechen!

    Natürlich hatte sie nicht alle Erinnerungsstücke an die Heimat verloren. Im Kinderzimmer musste neben anderem Spielzeug noch die Stoffpuppe sein, die früher ihr selbst und nun Nellie gehörte, aber Helene hatte, seit Nellie verschwunden war, noch nicht den Mut aufgebracht, die kleine Kammer zu betreten. Zu groß war ihre Angst, dass der Schmerz sie überwältigen würde, dass sie vor Trauer und Kummer nicht mehr ausreichend Kraft für ihre Aufgaben hätte. Sie musste doch Nellie suchen. Sie musste für Katharina da sein, wenn sie mit Matthias und den Kindern endlich nach Rosehill zurückkäme.
    Gedankenverloren strich Helene über das Muster ihres Amuletts. Es hatte ihr an dem Tag, als man ihnen Nellie und Cardinia genommen hatte, ein Zeichen gegeben. Wenn der Anhänger aber magisch war, dann müsste er sich doch auch beschwören lassen, um ihr und Amarina zu helfen. Die Freundin fehlte ihr, der einzige Mensch, der ihren Schmerz teilte und sie verstand. Ach, Amarina! Wenn ich nur wüsste, wie es dir jetzt geht!
    Hätten die Orta sie doch nur etwas von ihrer weißen Magie gelehrt! Die Aborigines hatten diesen Zugang zu einer anderen Welt, die den Weißen vollkommen verschlossen blieb. Helene hatte es selbst gesehen und am eigenen Leibe erfahren. Zum Beispiel damals, als Amarina ihr auf den Kopf zusagte, dass sie schwanger war, zu einer Zeit, als es dafür nicht das geringste Anzeichen gab. Oder wie Amarina sie sicher durch den Dschungel geleitet hatte, nachdem die Kutsche zusammengebrochen war, obwohl sie nie zuvor in jener nördlichen Ecke Australiens gewesen war, geschweige denn bei den Orta mitten im Urwald. Dort hatte Helene Dinge erlebt, die sie nicht für möglich gehalten hätte, doch darüber musste sie schweigen, sie hatte es versprochen. Diese Dinge waren außerhalb der Stammesgrenzen tabu, und wer das ungeschriebene Gesetz brach, konnte schlimmstenfalls mit dem Tode bestraft werden.
    Helene schüttelte den Kopf, als sie versuchte, die Erinnerungen an den geheimen Zauber der Aborigines zu verscheuchen. Ach, wenn sie nur wüsste, was sie tun sollte! Sie brach in lautes Schluchzen aus und ließ sich auf die Bank sinken, das Amulett noch immer fest umklammert. Im Mangobaum krächzten ein paar buntgefiederte Rosellasittiche. Helene sah zu ihnen auf, und plötzlich strömten die Erinnerungen auf sie ein. Erinnerungen an Südaustralien und an Amarina, die einzige Freundin, die ihr noch geblieben war …

Zionshill, im Winter 1903
    S ie saß auf der Bank unter dem großen Pfefferbaum, der dem südlichen Teil der Schulveranda Schatten spendete. Die milden Strahlen der Nachmittagssonne streichelten ihr Gesicht. Helene genoss die wohlige Wärme des Winters, die leichte Brise, die ihr durchs offene Haar fuhr. Das Licht war längst nicht mehr so grell wie in den harten Sommermonaten; die Bäume warfen lange, unscharfe Schatten, während der Wind sie sachte schaukelte. Ein Schwarm Rosellas störte plötzlich die Idylle, als er lärmend in den Pfefferbaum einfiel und die Tiere einander laut krächzend die Plätze streitig machten. Doch aus irgendeinem Grund schien es den Vögeln hier nicht wirklich zu gefallen, denn der Schwarm brach unter vereinzeltem Protestgeschrei ebenso schnell auf, wie er gekommen war.
    Helene schüttelte lächelnd den Kopf, weil sie an die eisigen Winter in Salkau denken musste. Schnee und Eis hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie von daheim aufgebrochen war, und noch war sie nicht lange genug in Australien, um die bittere Kälte Europas vermissen zu können. Ein Windhauch blies ihr ein paar lockige Strähnen ins Gesicht, die ihr die Wangen kitzelten. Sie blinzelte, versuchte, sie abzuschütteln, und als das nichts nutzen wollte, hielt sie sich das lange Haar mit der Hand von der Stirn ab.
    Von ihrer Bank aus hatte sie einen guten Ausblick auf die Gemeindegärten und die endlos scheinende Weite des Tals, das die Regenfälle der letzten Wochen in einen grünen Teppich verwandelt hatten. Wohlig sog Helene den zarten Eukalyptusduft ein, schloss für einen Moment die

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