Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Gemeinde nach Australien folgen zu wollen, hatten sie ihre Einwilligung nur gegeben, weil Gottfried als ihr Beschützer mitreisen würde. In ihrer ersten Freude hatte Helene dies nicht weiter als Problem gesehen, doch schon während der langen Überfahrt empfand sie Gottfrieds Strenge und beständige Kontrolle als bedrückend. In Neu Klemzig war es ihr dann gelungen, sich einige Freiheiten zurückzuerobern, nicht zuletzt, weil sie schon bei ihrer Ankunft deutlich besser Englisch sprach als Gottfried. Die Eltern hatten großzügig einen Hauslehrer angestellt, und auf der Schiffsreise erhielt sie weiteren Unterricht in der englischen Sprache. Daher hatte sie sich rasch integrieren und Aufgaben in der Gemeinde übernehmen können, mit denen er sich bis heute schwertat.
Die Aborigine-Frauen starrten Gottfried jetzt, auf ihre Harken gestützt, mit großen Augen breit lächelnd an, obwohl sie sicher wussten, was der dürre weiße Mann von ihnen wollte. Sein aufgeregtes Gebrabbel trug nur zur allgemeinen Belustigung der einheimischen Damen bei, die ihm durch übertriebenes Schulterzucken klarmachten, dass sie kein einziges Wort verstanden hatten. Dann, kaum dass er gegangen war, zog sich Amarina das Kleid wieder über den Kopf und wickelte es sich erneut um das drahtige schwarze Haar. Ihr herzhaftes Lachen ließ ihren kräftigen, doch wenig muskulösen Körper erbeben. Gottfried drehte sich noch einmal nach ihr um und hielt inne. Sein Mund öffnete und schloss sich dann wieder, wie ein Fisch, der nach Luft schnappte. Wie schon bei Daisy leckte er sich auch bei Amarinas Anblick unwillkürlich die Lippen. Amarina zeigte mit dem Finger auf ihn und schlug sich belustigt auf die Schenkel. Unter dem Gelächter der Frauen lief Gottfried stolpernd davon. Früher oder später, so fürchtete Helene, würde Amarina für Gottfrieds öffentliche Demütigung zahlen müssen.
Sie selbst konnte trotz der Peinlichkeit der Situation den Blick nicht von Amarina abwenden. Insgeheim stellte sie Vergleiche zwischen dem Körper der Schwarzen und ihrem eigenen an. Sie fand diese ausgeprägten Rundungen um die dunklen Hüften sehr weiblich, den seltsam vorgestreckten gewölbten Bauch im Gegensatz dazu fast kindlich. Die großen, straffen Brüste der jungen Frau waren natürlich so dunkel wie der Rest der Haut, die Warzen waren schwarz und riesengroß. Helene fühlte sich von der wie selbstverständlich zur Schau gestellten Fraulichkeit des fremden Körpers ein wenig überwältigt und eingeschüchtert. Vor Australien hatte Helene nie eine andere Frau nackt gesehen, zumindest nicht, seit sie erwachsen war. Der Anblick machte sie verlegen – aber es war auch irgendwie aufregend. Unbewusst sah sie an sich selbst hinab, legte die Hände auf ihre Hüften. Viel schmaler und weniger rund. Sie war so anders. So viel weniger Frau.
Helene wusste, dass Amarina eine Tochter hatte. Sie kannte das Mädchen mit dem unbändigen schwarzen Haar aus der Missionarsschule, und es war ihr schnell ans Herz gewachsen. Das lebhafte Kind war eine ihrer besten Schülerinnen. Cardinia hieß die Kleine, sie war ungefähr sieben und sog wie ein Schwamm alles begierig in sich auf, was Helene ihr beibringen konnte. Ob es darum ging, kurze Wörter aufzuschreiben oder einfache Rechenaufgaben zu lösen: Die kleine Cardinia streckte so lange vor konzentrierter Anstrengung die Zunge heraus, bis sie das Problem im Griff hatte. Dann sprang sie auf und klatschte in die Hände oder fing vor Freude an zu tanzen. Es dauerte immer eine Weile, ehe Helene wieder eine gewisse Ordnung im Klassenraum herstellen konnte, denn Cardinias Freude wirkte ansteckend. Ihre Begeisterung für den Unterricht war offensichtlich, doch am liebsten mochte Cardinia die deutschen Kirchenlieder. Stolz und Freude blitzten in ihren großen schwarzen Augen, wenn sie einen neuen Text fehlerfrei wiederholen konnte, und jedes Mal war sie traurig, wenn der Unterricht so schnell vorbei war.
Cardinia war ein Kind, das nach Wissen förmlich lechzte; umso mehr wunderte es Helene, dass sie wie die anderen schwarzen Jungen und Mädchen die Schule so oft schwänzte. Doch das Kind zuckte nur gleichgültig mit den Schultern, wenn Helene sie darauf ansprach. Eines Tages fasste sich Helene ein Herz und fragte Cardinias Mutter, warum die Kleinen so selten in die Schule kamen. Amarina sprach ein paar Brocken Englisch, und so verstand Helene mit einigen Anstrengungen, dass der Stamm der Wajtas nie für längere Zeit an einem Ort
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