Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
ganze Scheibe Fleisch und stopfte sie gierig in den Mund. Helene lachte und reichte ihm die Limonadenflasche. Er nahm einen großen Schluck und verschluckte sich. Prustend spuckte er das gelbliche Zuckerwasser über ihr Picknick.
»Oh, nein!« Helene versuchte zu retten, was noch zu retten war, und tupfte das Fleisch mit dem Rand des Baumwolltuchs ab, gleichzeitig bemüht, die hartnäckigen Fliegen zu verscheuchen.
Parri nahm die halbvolle Limonadenflasche und warf sie in den Fluss. Helen sprang auf und blitzte ihn böse an:
»Was machst du denn da? Die gute Limonade. Jetzt ist sie weg.«
»Ja, gut so. Schmeckt wie Froschwasser und zieht die Bulldoggenameisen an. Da!«
Er sprang auf und schlug ihr kräftig auf die Schulter.
»Was erlaubst du dir?«
Bevor sie sich noch mehr über Parris unsinniges Verhalten aufregen konnte, schoss ihr ein stechender Schmerz durch den Oberschenkel, der sie fast bewusstlos werden ließ. Sie schrie und hielt sich den Schenkel mit beiden Händen. Parri warf einen Blick auf ihr Bein, lief Richtung Fluss, wo er sich bückte, um eine Blume zu pflücken. Als er wieder neben Helene stand, hielt er in seinen Händen eine rosafarbene Blüte, die er achtlos zu Boden warf. Er behielt nur die länglichen Blätter und zerrieb sie zwischen seinen Fingern. Ohne ein Wort an sie zu richten, schob er mit einer Hand ihren Rock zurück – bis zu der Höhe, wo sie die Hände auf ihr Bein presste. Helene war zu sehr mit dem fürchterlichen Brennen beschäftigt, als dass sie hätte protestieren können. Er nahm ihre Hände von der geröteten Stelle und rieb sie mit der milchigen Flüssigkeit der Blätter ein. Helene spürte sofort Erleichterung und sah Parri dankbar, aber auch fragend an.
»Was ist das?«
»Pigface.«
»Schweinegesicht? Willst du mich beleidigen?«
Parri hielt ihr die zerriebenen Blätter unter die Nase.
»Das ist der Name der Pflanze. Sie hilft gegen den Biss der Bulldoggenameise.«
Helene sah auf die handtellergroße Schwellung auf ihrem Schenkel, bevor ihr bewusst wurde, dass Parri ihr nacktes Bein nicht nur gesehen, sondern es sogar berührt hatte. Schnell zog sie ihren Rock wieder auf Knöchelhöhe hinunter. Parri schien sich nicht im Geringsten der Peinlichkeit ihrer Situation bewusst zu sein. Er war längst wieder die Flussböschung hinabgestiegen, wo er die schmerzlindernde Pflanze gefunden hatte, und pflückte noch ein paar der rosafarbenen Blumen, die er in einen geflochtenen Beutel steckte. Als er zurückkam, hatte Helene das Picknick zusammengepackt und war bereit zum Aufbruch.
»Geht es besser?«
»Ja, es tut nicht mehr so weh. Danke.« Auf Parris Gesicht zeichnete sich der Hauch eines Lächelns ab. Helene, die von dem Zwischenfall immer noch peinlich berührt war, hoffte, dass er das Ganze nicht mehr erwähnen würde.
Seit Stunden gingen sie nun schon am Fluss entlang. Die Sonne stand bereits bedrohlich tief, und Helene fragte sich, wann in Gottes Namen sie endlich den Torrensriver überqueren würden. Sie konnte jedenfalls auf der anderen Seite noch nicht den großen Stein entdecken, von dem Warrun gesprochen hatte. Es sah wohl so aus, als müssten sie bei Amarina und ihren Leuten übernachten, denn mit dem Rückweg würde es heute sicherlich nichts mehr werden. Helene seufzte. Sie bezweifelte nicht, dass Amarina sich gut um sie kümmern würde, doch sie war so gar nicht auf eine Übernachtung unter freiem Himmel eingestellt. Allerdings, aller Unannehmlichkeiten zum Trotz, wäre so ein Nachtlager bei den Aborigines schon ein Abenteuer. Luise würde jedenfalls an ihren Lippen kleben, wenn sie nach ihrer Rückkehr davon berichtete. Allzu weit konnte das Camp doch nun wirklich nicht mehr sein.
»Parri, wie lange müssen wir denn noch laufen? Mir tun schon die Füße weh«, jammerte sie nun wie ein Mädchen. Parri, der wie immer vor ihr ging, drehte sich um.
»Heute gehen wir nicht mehr weit. Danach noch einen Tag und einen Morgen. Wenn dann die Sonne hoch vom Himmel scheint, sind wir bei Amarina.« Helene blieb wie angewurzelt stehen.
»Was sagst du da? Noch weitere anderthalb Tage? Machst du dich über mich lustig?«
Parri schien nun ebenso verwundert wie sie und schaute sie nur fragend an.
»Antworte mir gefälligst!«, befahl sie wütend.
»Wir gehen einen Tag und einen Morgen«, wiederholte er langsam, als wäre sie begriffsstutzig, und wandte sich dann wieder dem Weg zu. Helene raffte ihren Rock und fing an zu laufen, um zu ihm
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