Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Helene nach. Amarina schaute auf das Amulett, das Helene um den Hals trug. Helene nahm es in die Hand.
»Es ist wunderschön. Ich danke dir für das Geschenk. Warrun sagte etwas von einem Min-Min-Licht und dass du den Geist deines Mannes geschickt hättest.«
Amarina sah ihr in die Augen.
»Nicht geschickt, ist gekommen und hat gesungen. Sagt, ich bei dir bleiben. Wie Schwester.«
Helene wurde es seltsam zumute. Genau das hatte auch Warrun gesagt. Und tatsächlich fühlte sie sich ja auf merkwürdige Art zu dieser Frau hingezogen. Beinahe wirklich wie zu einer Schwester. Sie erschrak, denn sie kannte Amarina ja genau genommen kaum. Außerdem hatte sie bereits eine Schwester, auch wenn sie zu Katharina keinen Kontakt mehr hatte. Der Gedanke schmerzte sie kurz, wie immer, wenn sie an die Schwester dachte.
»Du bist ja sehr plötzlich verschwunden. Gibt es dafür einen besonderen Grund?« Sie hoffte, ihre Worte ermunterten Amarina, sich ihr zu öffnen. Amarinas Blick richtete sich in die Ferne. »Amarina?« Helene schaute die Freundin von unten an. Es fiel ihr nicht leicht, dieses Thema so beharrlich weiterzuverfolgen, aber sie brauchte die Gewissheit, dass sie Gottfrieds Notizen auch wirklich richtig interpretiert und nicht unter dem Eindruck der eigenen Bedrohung vielleicht doch falsch ausgelegt hatte. Sie brauchte Amarinas Bestätigung. War er wirklich so weit gegangen und hatte sich an ihr vergangen?
Amarina legte den Kopf zur Seite und erwiderte ihren Blick.
»Ich muss dich etwas fragen. Etwas, das dich vielleicht verletzt. Darf ich?«
Amarina hob Augenbrauen und Hände gleichzeitig, was Helene als Zustimmung nahm.
»Ich habe etwas gefunden. Ein Buch, in das Gottfried heimlich Dinge geschrieben hat.«
Das Weiche in Amarinas Gesicht war von einer Sekunde zur anderen einem starren Ausdruck gewichen.
»Ja?«, sagte sie, und es klang fast feindlich.
Helene räusperte sich. Sie wollte es nun so schnell wie möglich hinter sich bringen, auch auf die Gefahr hin, dass Amarina ihr böse sein würde.
»In diesem Buch habe ich Hinweise gefunden, dass Gottfried … dass er dir weh getan hat. Stimmt das?« Sie sah auf, um Amarinas Reaktion abzuwarten.
Erst zeigte die junge Aborigine keinerlei Regung, doch dann füllten sich Amarinas Augen mit Tränen, sie liefen ihr übers Gesicht, das nun von Schmerz und Hass gezeichnet war. »Wenn Mandu da, er ihn töten«, stieß sie zwischen zusammengepressten Lippen hervor.
Helene nickte nur. Sie war sich nicht sicher, ob Amarina umarmt werden wollte, und so saß sie einfach still neben ihr, bis Amarina irgendwann aufhörte zu weinen. Dann standen die beiden Frauen auf und gingen ins Camp zurück.
Amarina musste den Frauen beim Fladenbacken helfen. Daher verbrachte Helene den Rest des Nachmittags mit Cardinia und ihren Freundinnen. Die Mädchen hielten sich vor Lachen die vorgereckten Bäuche, als sie vergeblich versuchten, ihr ein Fingerfadenspiel beizubringen. Helenes Hände erwiesen sich einfach als zu ungeschickt, um die Fäden in diese kunstvollen Knoten und Muster zu verweben, die die Kinder ihr mehrfach gezeigt hatten. Nach endlosen Versuchen gab sie es auf, was die Kinder geradezu verzückte. Immer wieder fassten sie die fremde Frau kurz am Arm an, und manche, zutraulich geworden, strichen ihr wie zufällig übers Haar. Cardinia schien sehr stolz auf ihre Lehrerin zu sein und führte sie den Kindern wie eine Trophäe vor. Es sah aus, als hielte sie ganze Vorträge über das merkwürdige Aussehen und die Kleidung der weißen Frau.
Verstohlen blickte Helene immer wieder mal zu Parri hinüber, der schon seit ihrer Ankunft inmitten der Stammesführer saß und gerade im Begriff war, sich wie die Alten das Gesicht mit Emufett und Asche einzureiben. Als er unvermittelt aufblickte und sich ihre Blicke kreuzten, schaute sie schnell zu Boden. Sie musste Amarina unbedingt nach Parri fragen. Soweit sie das beurteilen konnte, war er kein schlechter Mann und gutaussehend obendrein. Warum wollte die Freundin ihn nicht? Warum war sie eher bereit, ihren Stamm zu verlassen, als ihn zum Mann zu nehmen?
Am Abend tanzten die Männer ums Feuer und sangen. Dabei zischten sie manchmal wie Schlangen oder lachten wie der Kookaburra. Die Frauen schauten zu und klatschten rhythmisch in die Hände.
»Ein Corroboree für Gäste«, erklärte Amarina. Der Schein des Feuers erhellte ihr Gesicht, dessen Dunkelheit und ungewohnte Züge auf Helene exotisch und geheimnisvoll wirkten. Vielleicht
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