Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
keineswegs deine Urgroßmutter gewesen sein muss. Jedenfalls nicht allein deshalb, weil sie rabenschwarz war.« Natascha blickte auf ihre Füße, die in ungewohnten Flip-Flops steckten. Sie dachte nach.
»Dann wiederum …«, fuhr Mitch fort.
»Dann wiederum, was?«
»Die Namensähnlichkeit zwischen Amarina und Maria könnte auf einen Zusammenhang zwischen den beiden hindeuten.«
Natascha hörte ihm wieder aufmerksam zu.
» Könnte, sagte ich, nicht muss. « Mitch hatte den Zeigefinger erhoben, wie um den rein theoretischen Charakter seiner Überlegung zu unterstreichen. »Kinder von Aborigines, die später von Weißen adoptiert wurden, verloren oft ihren richtigen Namen.«
»Und wieso?«
»Weil ihren neuen Eltern die Namen zu fremd waren. Gehen wir mal rein theoretisch davon aus, dass deine Urgroßmutter einen typischen Aborigine-Namen hatte, Nampijimpa vielleicht. Damit konnte ein Europäer sicherlich nichts anfangen, also gab man dem Kind einen christlichen Namen – oft einen, der dem ursprünglichen Namen des Kindes oder dem eines seiner engen Familienmitglieder ein wenig ähnelte. Könnte also durchaus sein, dass deine Nanna als Kind einen für Weiße ungewöhnlichen Namen getragen hat. Der Name ihrer Mutter hingegen muss für europäische Ohren doch schon wesentlich vertrauter geklungen haben. Amarina. Maria. Na, wie klingt das?«
Natascha war überrascht. »Stimmt«, sagte sie, als die Erkenntnis endgültig eingesickert war. Sie blickte wieder aus dem Fenster. Noch mehr Zuckerrohrfelder.
»Wir sitzen auf einem mittelgroßen Haufen reiner Vermutungen. Im Grunde wissen wir nichts. Sehe ich das richtig?«
»Das siehst du verdammt richtig, Schwester«, bestätigte Mitch und drehte den Lautstärkeregler hoch. Mystify. Er schlug die rechte Hand gegen das Lenkrad und zuckte mit dem Kopf, als er in den Song einfiel. Wahrscheinlich betrachtete er die Diskussion damit als vorläufig beendet.
Sie hatten die letzte Fähre noch gerade so erwischt, und es war stockdunkel, als sie die kleine Insel erreichten. Vom Jetty in Nelly Bay dauerte es keine zehn Minuten, ehe sie über eine enge und steile Küstenstraße Horseshoe Bay erreichten, wo Natascha eine kleine Ferienwohnung reserviert hatte. Mitch würde bei seinem Kumpel übernachten. Morgen früh wollten sie sich am Tauchshop treffen, der zu Fuß keine drei Minuten von ihrem Apartment entfernt lag.
Ihr neuer Unterschlupf war größer, als sie erwartet hatte. Ein richtiger kleiner Bungalow, mit einem hervorragenden Bett und einer etwas gewöhnungsbedürftigen Dusche. Ein kalter Strahl ließ Natascha aufkreischen. Erschöpft fiel sie ins Bett und schlief fast sofort ein. Dieses Mal träumte sie nicht, und dafür war sie dankbar.
Eine Glocke läutete. Natascha konnte das ungewohnte Geräusch zunächst nicht einordnen. Sie wälzte sich auf die andere Seite und spürte, dass ihr auch das Bett fremd war. Als sie endlich so weit wach war, dass sie wusste, wo sie sich befand, hievte sie die Beine müde über den Rand des Bettes und stand auf. Sie ging zur Haustür und öffnete. Vor ihr stand ein junger Mann, der im Begriff war, ein weiteres Mal die Kordel zu schwingen, die zu der nervtötenden Glocke gehörte.
»Hallo! Ich bin Alan, Mitchs Kumpel, der Tauchlehrer.« Er ließ die Kordel los.
Ihre vom Schlaf verklebten Augen registrierten einen großen Typen, ungefähr in ihrem Alter. Natascha rieb sich die Augen. Jetzt nahm sie auch Details wahr. Blaue Augen, Bartstoppeln, Kinngrübchen. Das Gesicht dazu hatte sich zur Seite gelegt und lächelte sie schelmisch an. Lachfalten, ergänzte sie ihre mentale Detailliste. Im selben Augenblick wurde ihr bewusst, wie sie da vor ihm stand. Verquollene Augen, ungekämmtes Haar und als Nachthemd ein altes T-Shirt, das ihr gerade mal bis zum Hintern reichte. Immerhin – sie trug einen Slip. Bildete sie sich das ein, oder hatte er sie gerade von oben bis unten gemustert? Mit einer Hand fuhr sie sich durch die Locken, die andere zog verlegen am T-Shirt.
»Äh, Natascha. Hallo.«
»Entschuldige, dass ich hier so aufkreuze, aber Mitch hat mir erzählt, dass ihr euch um neun im Tauchshop treffen wolltet. Daraus wird nämlich nichts. Mitch hat gestern auf dem Weg zu mir noch einen kleinen Umweg ins Pub eingelegt, und, tja, was soll ich sagen? Er schläft noch tief und fest, und das ist auch ganz gut so. Ich selbst bin um neun nicht mehr im Shop, sondern mit meinem Tauchkurs draußen.« Bei »draußen« bewegte er sein Kinn in
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