Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
zu Kopfe stieg. Oder war es doch nur die ungewohnte Hitze? Oder eine Folge von … Helene verbot sich jeden weiteren Gedanken. Sie war froh, dass sie die kurze Strecke zum Old Imperial nicht gelaufen waren, denn die Straße erwies sich als schlammig, vom starken Regen vollkommen aufgeweicht. Der Kutscher sagte ihr, dass die Fahrt nach Meena Creek, wo ihre Schwester Katharina lebte, zwei Tage dauern würde. Bis nach Innisfail könnten sie mit der Postkutsche fahren, und von dort müssten sie sich eine Kutsche mieten, die sie landeinwärts in die Misty Mountains bringen würde, an deren Fuße Meena Creek lag. Allerdings, so hatte der Kutscher sie gewarnt, müsste man in der Regenzeit damit rechnen, dass die Wege immer wieder mal unpassierbar würden, und von daher sei es reine Glückssache, ob sie durchkämen. Im schlimmsten Fall müssten sie sogar das Ende der Regenzeit abwarten, bevor sie ihre Reise fortsetzen könnten.
Er musste Helenes erschrockenen Blick bemerkt haben, denn er fügte hinzu, dass ihre Chancen zurzeit gar nicht so schlecht stünden. Ihm sei zumindest noch nichts über eine Wegsperrung auf der Strecke nach Meena Creek zu Ohren gekommen.
Die drei Frauen teilten sich ein Hotelzimmer. Amarina lehnte es nach wie vor hartnäckig ab, in einem Bett zu schlafen, ebenso Cardinia, daher ließ Helene die beiden auf dem Boden neben ihrem Bett übernachten. In der Nacht befielen sie wilde Träume, die sie schweißnass hochschrecken ließen. Sie wusste nicht, wo sie war, und erschrak, als sich ein dunkler Schatten vor ihr Gesicht schob.
»Ich. Amarina.«
Helene atmete erleichtert auf und ließ sich mit einem nassen Tuch die Stirn abtupfen und Wasser reichen.
»Du ruhen. Kindgeist dich sonst verlassen.«
»Kindgeist? Sag nicht immer solche Sachen, die mich noch zu Tode erschrecken!«
»Du neue Mutter von Kindgeist. Kindgeist wollen dich. Du nicht reisen morgen.«
»Kindgeist, Kindgeist! Hör endlich auf mit diesem heidnischen Gefasel!« Helene schrie jetzt fast. »Mir und meinem Kind geht es sehr gut. Morgen machen wir uns auf den Weg. Ich will bei meiner Familie sein, ich will zu meiner Schwester.« Helenes Nerven waren dünn wie Papier, nicht zuletzt, weil sie wusste, dass Amarina recht hatte. Sie war schwanger, und sie hatte Fieber. Ihr Geld reichte vielleicht noch für zwei Monate, wenn es hochkam für drei. Wovon sollten sie dann leben? Außerdem sehnte sie sich nach ihrer Familie, am meisten nach ihrer Mutter. Ob es daran lag, dass sie bald selbst Mutter sein würde? Eigentlich war sie ihrer Mutter nie sonderlich nahe gewesen.
Amarina hielt ihr etwas hin, das wie ein Stück Borke aussah. »Du kauen, und heiße Haut verschwinden.« Die junge Aborigine nickte ihr aufmunternd zu, bis Helene schließlich zugriff und sich die Rinde vorsichtig in den Mund schob. Sie konnte nicht leugnen, dass sie mit der Medizin der Aborigines bislang nur gute Erfahrungen gemacht hatte. Angewidert verzog sie den Mund und schüttelte sich, kaute aber weiter. Amarina schleppte in ihren geflochtenen Taschen offensichtlich ganze Apotheken mit sich herum.
»Du Kleid ausziehen.« Sie spürte Amarinas Zeigefinger auf ihrer Brust. Es widersprach zwar Helenes Gefühl für Anstand, nackt zu schlafen, aber sie hatte jetzt nicht die Kraft für eine weitere Auseinandersetzung; das Nachthemd klebte ohnehin nur unangenehm an ihrem schweißnassen Körper. Amarina half ihr beim Ausziehen und drückte sie dann behutsam ins Kissen zurück. Dann fächelte sie ihr mit einer aufgeschlagenen Bibel, die sie auf dem Nachttisch gefunden hatte, Luft zu. Ganz gleich, was Amarina morgen sagen oder tun würde, dachte Helene noch, bevor ihr vor Erschöpfung die Augen zufielen, sie würde auf diese Postkutsche klettern und zu Katharina reisen.
»Fünf«, zählte Cardinia laut, womit sie sich darauf bezog, wie oft die Kutsche schon im Morast stecken geblieben war. Ihre Mutter schüttelte nur still den Kopf, doch anders als Amarina riss Helene langsam der Geduldsfaden. Sie beugte sich erbost über die Schulter des Kutschers.
»Grundgütiger, wie lange soll das denn noch so weitergehen? Wir sind noch keine drei Stunden unterwegs und sitzen bereits zum wiederholten Male fest. Dabei haben Sie selbst uns noch erzählt, der Weg sei frei!« Wütend hatte sie ihre Arme in die Seiten gestemmt. Der Kutscher schien sturer als seine zwei alten Gäule, die die Unterbrechung nutzten, um gemächlich ein paar Büschel Gras vom Wegesrand zu zupfen. Statt einer
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