Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
ich nicht.«
»Siehst du, und genau das finde ich komisch. Da reicht es dir all die Jahre, gar nichts zu wissen, und dann findest du plötzlich einen Fetzen Papier, auf dem steht, dass deine Oma Aborigine-Blut hat, und schon fliegst du um den halben Erdball.«
Natascha war aufgestanden und setzte sich auf die andere Seite. Was bildete sich dieser Kerl ein, dass er so persönlich wurde? Sie schaute aufs Meer hinaus.
»Ich wollte dich wirklich nicht verletzen. Manchmal kann ich einfach meine große Klappe nicht halten. Sorry!«
»Hast du Familie, Alan?«, unterbrach sie ihn. Alan rutschte unruhig auf der Bank herum und schien vom plötzlichen Richtungswechsel ihres Gesprächs überrascht.
»Ja und nein.« Er fuhr sich durchs Haar, zögerte mit seiner Antwort. »Verdammt, da hast du einen wunden Punkt erwischt.«
Natascha konnte ihm auch so ansehen, dass sie mit ihrer Frage ins Schwarze getroffen hatte. Sie wollte ihm mit einer Antwort Zeit lassen, nicht nachbohren. Dunkles Wasser schwappte schmatzend gegen das Boot, und das erste Mondlicht spiegelte sich bleiern auf der See. Als Natascha schon nicht mehr glaubte, dass er reden würde, hörte sie, wie Alan sich räusperte.
»Okay, reden wir also über meine Familie, oder was davon übrig geblieben ist. Eine kleine Warnung: Meine Geschichte ist nicht schön, dafür ist sie schnell erzählt. Mein Vater hat sich zu Tode gesoffen. Hat wohl nicht verkraftet, dass seine Frau ihn sitzengelassen hat. Als meine Mutter nämlich von seiner Sauferei genug hatte, ist sie eines schönen Tages ohne ein Wort abgehauen. Da war ich zwei. Ich kann’s ihr nicht verübeln. Sie war damals fast selbst noch ein Kind, knapp neunzehn. Dad und ich haben daraufhin unser Städtchen verlassen. Es sei ihm dort unter all den Spießern zu eng geworden, sagte er. Erst als ich größer war, begriff ich, dass ihm die soziale Kontrolle dort zugesetzt hatte. Zu viele Bekannte, die ihm offen die Meinung geigten, wenn er mal wieder sternhagelvoll seinen Pflichten nicht nachkam; die ihn daran erinnerten, was für ein Versager er war. In seinem Beruf und als Vater.« Alan strich sich das Haar aus der Stirn und schaute aufs Meer hinaus. Natascha schwieg. Mitch summte hinter dem Steuerrad ein Lied, das sie nicht kannte.
Alan trank einen Schluck und zerknüllte die Dose.
»Na, egal. Ist alles verdammt lange her. So viel jedenfalls zu meiner Familie. Ich hab dir ja versprochen, dass es eine kurze Geschichte wird.« Geschickt warf er die leere Dose in eine Kiste, die unter ihrer Sitzbank stand.
»Und was ist aus deiner Mutter geworden? Habt ihr noch Kontakt?«
Alan sog scharf die Luft ein.
»Nein, ich hab nicht die geringste Ahnung, wo sie steckt und was sie treibt. Alles, was ich weiß, ist, dass meine Mutter ein Blumenkind war, ein Hippie. Sie ist mit ihren Kifferfreunden quer durch Europa gezogen. Kein fester Wohnsitz, keine Sozialversicherungsnummer, nichts. Frag mich nicht, wovon sie gelebt hat.« Alan schluckte. »Bier?«, fragte er.
»Danke, ich bin versorgt.«
Alan ging runter zum Kühlschrank. Auf dem Rückweg hielt er einen Schwatz mit Mitch. Die beiden lachten. Er klopfte Mitch auf die Schulter und setzte sich dann neben Natascha.
Ohne weiter nachzudenken, legte sie ihren Kopf auf seinen Schoß.
»Und du hast nie selbst nach deiner Mutter gesucht?«
Es war eine Weile still. Mitch sang immer noch in einer fremden Sprache vor sich hin, das Boot schaukelte sacht.
»Nein, was hätte das gebracht? Sie wollte nichts mit mir zu tun haben, sonst hätte sie mich ja gesucht. Und irgendwann wollte ich sie auch nicht mehr.«
»Ich verstehe«, sagte sie leise.
»Was verstehst du?«
Ihre Hand griff nach seinem Arm, hielt ihn fest. Er zögerte für einen Moment, doch dann beugte er sich zu ihr hinunter, berührte ihre Lippen. Sie mussten beide lachen, weil sie sich verkehrt herum küssten, was nicht so recht gelingen wollte. Alan zog sie schließlich zu sich hoch und nahm sie in die Arme.
»Ich bin jedenfalls verdammt froh, dass du nach Australien gekommen bist.« Er strich ihr mit dem Handrücken über die Wange. Natascha probierte ein Lächeln, doch ihre Mundwinkel zitterten. War sie etwa im Begriff, sich zu verlieben? In einen Tauchlehrer? Sämtliche Alarmglocken in ihrem Kopf schrillten, aber sie kamen nicht dagegen an, wie gut es sich anfühlte, in seinen Armen zu liegen.
Nach einer Weile löste sie sich aus der Umarmung.
»Ich hab natürlich kein Recht zu fragen, aber du und Hanne, ihr
Weitere Kostenlose Bücher