Der geheimnisvolle Gentleman
konnte nichts mehr für ihn erübrigen – und das betraf nicht nur ihre Stimme.
Petty kam herein. Sie brachte einen neuen Becher mit Brühe und ein flaches Fläschchen. »Mrs Huff meinte, Ihr könntet den Brandy gebrauchen, Mylady. Wenn der Doktor kommt.«
Jetzt erst sah Olivia Dane an. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet.
»Da ist noch eine Kugel in deinem Bein, Olivia«, sagte er leise. »Der Doktor muss sie herausschneiden.«
O nein. Ihr fehlten die Worte. Sie nahm das Fläschchen von Pettys Tablett in ihre bandagierten Hände und stürzte einen riesigen Schluck Brandy hinunter.
Ihre ausgedörrte Kehle schien Feuer zu fangen. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und hustete. Sie wollte gerade einen zweiten Schluck nehmen, als Danes große Hand sich um ihre beiden Hände legte.
»Es wäre besser, wenn du dir damit etwas Zeit ließest«, sagte er sanft. Sie überließ ihm die Flasche und lehnte sich entspannt in die Kissen zurück. Bereits der eine Schluck Alkohol half, die Schmerzen etwas zu dämpfen.
Groß wie er war, machte er es sich neben ihr auf der Matratze bequem. Er trug ein verflecktes Hemd und schmutzige Hosen. Seine Haare fielen ihm auf die Schultern, und sein Gesicht war angespannt.
Er sah wunderschön aus.
Olivias Augen begannen, sich mit Tränen zu füllen. Die Welt war ungerecht. Er konnte ein ungepflegtes, schmutziges Arschloch sein und dabei trotzdem so wunderbar aussehen, während sie sauber war und reinen Herzens und doch wusste, dass sie absolut schrecklich ausschaute.
Geh weg, formte sie mit ihren Lippen.
Er faltete die Hände um sein gebeugtes Knie und lehnte sich zurück. »Das kann ich nicht. Ich muss wissen, was passiert ist.«
»Du hast mich im Stich gelassen.« Sie wünschte, sie könnte die Worte herausbrüllen, anstatt sie unhörbar zu flüstern.
Er nickte. »Ja. Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dich unterschätzt habe, auch wenn ich nicht denke, dass du meine Entschuldigung im Augenblick annimmst.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. Falls überhaupt.
Auch das musste er verstanden haben, denn er nickte wieder. »Das ist natürlich dein gutes Recht.« Er neigte leicht den Kopf, und sein Blick wurde freundlicher. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir sagen soll, wie froh ich bin, dass du mich nicht verlassen …«
Eines ihrer Kissen traf ihn mitten im Gesicht. Er schob es weg und runzelte die Stirn. »Was?«
Olivia gab Petty ein Zeichen und deutete mit einer Hand auf ihren Schreibtisch. Die gute Petty! Sie verstand sofort. »Oh! Ja, natürlich, Mylady!«
Im Nu war sie mit Papier und einem Stift zurück.
Olivia streckte Petty ihre rechte Hand hin, und sie wickelte einen Teil des Verbandes ab. Endlich erschienen Olivias einzelne Finger, die ebenfalls verbunden waren. Schließlich zog sie ihre Hand zurück, wobei ein langes, weißes Band von ihrem Handgelenk wehte, und fing wie wild an zu schreiben, mit großen, ungelenken Buchstaben und großem Druck.
Sie drückte Dane das Blatt in die Hand. Er nahm es und las laut vor: »›Es ist dir lieber, dass ich verletzt wurde und im Wald fast gestorben bin, als dass ich gesund und unversehrt mit einem anderen Mann zusammen wäre?‹« Er schaute verwirrt auf. »Hm, ja, ich meine, nein, natürlich nicht! Aber …«
Wieder schrieb sie und gab ihm das Blatt. »›Doch‹«, las er unnötigerweise laut vor. »›Hau ab. Ich mag dich nicht mehr.‹«
Vage vernahm Dane, wie Petty sich umdrehte und das Zimmer verließ. Als er in Olivias ausdrucksloses Gesicht schaute, konnte er es der Zofe nicht verübeln. Verzweiflung überwältigte ihn. Er hatte alles falsch gemacht, von Anfang an.
Er würde sie verlieren. Er wusste es, fühlte es, während sie ihn anschaute, mit Augen, die mehr als nur traurig oder betrübt waren. Ihr Blick sagte ihm, dass die Sache für sie erledigt war. Sie hatte abgeschlossen mit ihm und mit jeder Chance, die sie jemals hatten.
Worte drohten ihn zu ersticken, Wörter, von denen er wusste, dass er sie niemals sagen könnte. Zwischen ihnen stand die Wahrheit, ein Geheimnis, das nie gelüftet werden durfte, Wissen, das sie alle nur in Gefahr bringen würde.
Und doch setzte er an zu sprechen.
»Olivia … es gibt da etwas, das du verstehen musst. Es gibt einen Grund, weshalb ich dir nicht trauen konnte, ich kann
niemandem trauen, außer einem kleinen Kreis. Ich sollte dir das alles gar nicht erzählen.«
Sie kritzelte etwas aufs Papier.
»›Dann tu’s nicht. Wenn du mir so wenig vertraust, dann
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