Der geheimnisvolle Gentleman
zögerte, als er den Hufkratzer in die Tasche zurückstecken wollte – eine blaue Ecke schaute aus der Öffnung hervor.
Er schob das Buch tiefer hinein, schlenderte zu dem Baum und setzte sich in seinem Schatten auf den Boden. Es war viel zu warm für die Jahreszeit. Unzufrieden ließ er die Schultern kreisen. Das Wetter machte ihn ganz kribbelig.
Mit ausdruckslosem Gesicht starrte er die weiß gekalkten Wege entlang, die übers Moor führten. Barrowby hatte immer über das Moor erzählt und darüber, dass ein Mann mit so viel Himmel über sich am besten nachdenken konnte.
Nachdenken war das Letzte, was Dane tun wollte.
Wenn er nachdachte, dann müsste er sich fragen, warum er sich gefühlt hatte, als wäre etwas in ihm zerbrochen, als er Olivias Kutsche aus den Augen verlor. Er müsste sich die Frage stellen, warum trotz der Dringlichkeit seines Auftrages keine drei Minuten vergingen, ohne dass er an sie dachte, und warum es ihn so sehr danach drängte, ihr Tagebuch zu lesen.
Er rieb sich mit einer Hand das Kinn. Ihr Tagebuch wäre voll von ihr. Es würde sie ihm wieder nahebringen, wo er es doch gerade erst geschafft hatte, ein wenig auf Distanz zu gehen.
Vielleicht beinhaltet es wichtige Informationen.
Dieses Mal freute sich Dane über die zweifelnde Stimme des Löwen. Natürlich! Er musste das Tagebuch lesen. Er sprang so unvermittelt auf, dass er Galahad erschreckte.
Dane beruhigte das Pferd. Endlich griff er nach der Satteltasche. Er schob seine Hand hinein und tastete nach dem Buch.
Er konnte es nicht finden.
Ungeduldig löste er den Riemen, der die Satteltasche am Sattel hielt, und kippte den verdammten Inhalt auf den Boden. Das Buch landete auf einem Haufen dreckiger Kleidung.
Dane hob es auf und ging zu seinem Platz am Fuße des Baumes zurück. Er las schnell, trotz Olivias merkwürdiger
Schreibweise, und es dauerte nicht lange, bis er tief in ihre Gedankenwelt versunken war.
Die erste Hälfte behandelte das letzte Jahr, vielleicht auch weiter zurück, denn sie erzählte von Ferien, die sie mit Walter und ihren Eltern verbracht hatte, von der Situation auf Cheltenham, von ihren Sorgen über ihr kränkliches Personal und die letzten verbliebenen Dorfbewohner.
»Kuhzäpfchen?« Hatte er richtig gelesen?
Dann entdeckte er den eilig niedergeschriebenen Kommentar zu Walters Tod.
Ertrunken? Walter? Das kommt mir unwahrscheinlich vor, schwimmt er doch noch besser als ich.
Dane runzelte die Stirn. Wenn er jetzt darüber nachdachte, kam es ihm auch äußerst fragwürdig vor. Olivia war eine hervorragende Schwimmerin, das hatte er selbst erlebt. Vielleicht sollte er sich mit den Umständen von Walters Tod einmal eingehender beschäftigen.
Dann kam der Eintrag über den Tag an der Brücke. »Nordischer Gott?«, murmelte er und lächelte dabei. »Ich bin kein Dandy!« Sein Blick flog über die Seiten, er las immer schneller. Ihre Verwirrung darüber, dass er ihr nicht den Hof machte. Ihre Verärgerung, weil ihre Mutter darauf bestand, dass die Familie den traditionellen Trauermonat nicht einhielt. Ihre Ängste, einen Fremden zu heiraten.
Er hätte ihr diese Ängste so leicht nehmen können, aber waren nicht die meisten davon absolut berechtigt gewesen? Sie war missbraucht, vernachlässigt und schließlich abgewiesen worden.
Dann fand er die zerrissene Seite.
Er kramte den Papierfetzen aus seiner Westentasche hervor und hielt ihn an das Blatt. Es war eine Art Gedicht. Ein sehr schlechtes, wahrscheinlich hatte sie niemals vorgehabt, dass es ein anderer zu Gesicht bekam.
Versammelte man die besten Männer
Und nehme die breiten Schultern von diesem Burschen
Und das helle Haar von jenem
Die blauen Augen eines anderen
Und die gemeißelten Gesichtszüge
Die Intelligenz des Gelehrten
Die Sensibilität des Poeten
Den Humor des Draufgängers
Den Reichtum eines Königs
Die Kraft eines Hengstes
Dann ergibt das vielleicht einen Mann wie den meinen.
Das Rätsel ist … warum ist er mein?
Was habe ich schon, das einen Mann wie ihn anzieht?
Ich bin nicht schön und nicht besonders gut
Ich bin nicht weise und nicht immer schlau
Ich bin nicht elegant, nicht ausgeglichen, nicht einmal besonders geistreich.
Wenn es eine merkwürdige Anziehung gibt,
darf ich dann zu glauben wagen,
die Antwort auf das Rätsel ist Liebe?
Und auch wenn ich seiner nicht wert bin,
dann ist es doch möglich, dass er es noch nicht weiß.
Kann ich mich seiner würdig erweisen?
Kann ich eine Frau werden, die geliebt
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