Der geheimnisvolle Gentleman
der Dunkelheit.
Als Olivia aufwachte, war es dunkel im Zimmer. Die Kohlen im Kamin glühten. Sie streckte sich genüsslich und wollte sich gerade auf die andere Seite drehen, um wieder einzuschlafen, als ihre Zehen gegen eine harte, in Stoff gewandete Oberfläche stießen.
Ein Bein. Ein Männerbein. Das Bein ihres Ehemanns.
Ihr Ehemann, der noch immer seine Hosen anhatte, während sie fast nackt schlief. Wie peinlich. Andererseits durchlief ihr Körper bei diesem Gedanken ein heißer Schauer. Wie wäre es, vollkommen nackt vor ihm zu stehen, wie eine Sklavenprinzessin vor einem barbarischen Herrscher?
Der Schauer verstärkte sich zu einem erregten Beben. Wenn er aufwachte und sie nackt vorfand, würde er dann beenden, womit er heute Nacht angefangen hatte? Das war noch nicht alles gewesen, da war sie sich sicher. Sie hatte Hengsten beim Decken von Stuten zugesehen und Hunden und Hündinnen, obgleich sie annahm, dass Menschen es ein wenig anders taten als Vierbeiner.
Sie schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie Dane sie wie ein Hengst bestieg. Ein berauschender Schauder durchfuhr sie allein bei dem Gedanken.
Ihre Bewegungen mussten Dane geweckt haben, denn er drehte sich zu ihr um. »Geht es dir gut?«, fragte er mit vom Schlaf belegter Stimme. »Hattest du einen Albtraum?«
Olivia zwang sich, an etwas anderes zu denken. »Ähm, nein. Kein Albtraum.«
Er schlang einen starken Arm um ihre Taille und zog sie näher an sich. Seine große Hand fühlte sich heiß auf ihrer Haut an, und sie erzitterte. »Ist dir kalt?«, murmelte er.
Nein, das konnte man nicht behaupten. Doch bevor sie
ihm antworten, ihn küssen oder sonst was mit ihm anstellen konnte, gab ihr Magen ein wütendes Knurren von sich. Völlig entsetzt schlug sich Olivia die Hand vor den Mund. Ihre Mutter wäre schockiert. Ihre Mutter würde vor Entsetzen kreidebleich werden, sie würde …
Dane gluckste. In der dunklen Abgeschiedenheit ihres mit Vorhängen abgeschirmten Bettes hörte es sich an wie sanftes Donnern. »Daran bin ich schuld, nicht wahr? Ich habe vergessen, nach deinem Abendessen zu läuten.«
Er rollte von ihr fort und griff nach der Schnur am Kopfende des Bettes, um nach einem Diener zu läuten.
Olivia legte die Hand auf seine entblößte Schulter. »Müssen wir sie wecken? Sie haben heute so schwer gearbeitet.«
Er wandte sich ihr mit fragendem Gesichtsausdruck zu. »Es ist ihre Pflicht zu kommen, wenn ich sie rufe. Dafür bezahle ich sie.«
Olivia runzelte die Stirn. »Auch Diener sind Menschen, Mylord. Menschen, die sich ausruhen müssen, damit sie zur Stelle sind, wenn Ihr sie ruft. Ich fühle den Drang, einen Aufstand zu schüren.«
Er rollte sich zu ihr zurück, richtete den Oberkörper auf und stützte das Kinn in seine Hand. Die Umrisse seines Körpers glichen im Dämmerlicht einer Bergkette. »Was schlagt Ihr also vor, Lady Greenleigh? Dass ich Euch selbst bediene?«
Ja, warum eigentlich nicht?
Sie schüttelte heftig den Kopf. Ihre Hirngespinste begannen ernsthaft, ihre Gedanken zu beeinflussen. »Nein, natürlich nicht. Ich kann durchaus selbst hinunter in die Küche gehen und mir etwas zu essen holen.«
»Allein?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ja, wieso?«
»So wie du bist?« Seine Stimme erinnerte sie daran, dass die Bänder an ihrem Nachthemd sich gelöst hatten.
Sie schmollte. »Nein, natürlich nicht. Ich würde mir etwas anziehen.«
Er gluckste. »O nein. Ganz bestimmt nicht. Das verbiete ich dir.«
Dass ihr befohlen wurde, fast nackt zu bleiben, hätte Olivia wenigstens ein bisschen stören müssen, tat es aber nicht, was umso schlimmer war. Mutter hatte dieses Thema niemals angesprochen, doch Olivia war sich ziemlich sicher, dass es keiner Lady geziemte, sich auf Befehl auszuziehen.
Aber wenn ihr gut aussehender, absolut bemerkenswerter Ehemann wollte, dass sie fast nackt war, dann würde sie mit dem größten Vergnügen auch so bleiben!
»Ich kann bis zum Frühstück warten«, änderte sie ihre Meinung.
Dane erhob sich vom Bett. »Dann werde ich jetzt wohl besser in mein Zimmer zurückgehen.«
Olivia wünschte sich sehr, dass er das nicht täte, sie konnte ihn allerdings unmöglich anflehen, bei ihr zu bleiben. Obwohl sie stark bezweifelte, dass sie, wenn er neben ihr lag, wieder einschlafen konnte. Ihn anzuflehen hatte also etwas für sich.
Deshalb sagte sie, natürlich nur um der guten Manieren willen: »Wenn du möchtest, darfst du gerne bleiben.«
Er drehte sich nicht um.
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