Der geheimnisvolle Gentleman
ist über Nacht recht kalt geworden, und ich bin froh über das neue Feuer.«
Falls das überhaupt möglich war, versteifte sich Petty noch mehr. »Das war das Zimmermädchen, Mylady. Wir waren angewiesen, Euch nicht früher zu wecken. Wenn Ihr wollt, dass das Feuer vor zehn geschürt wird, dann müsst Ihr mit Mrs Huff reden, der Hausdame.«
»Nein, nein.« Olivia blinzelte. »Ich wollte nicht …« Jetzt
hatte sie es vermasselt. Das Mädchen würde alles, was sie sagte, als Kritik auffassen. Sie gab auf. »Zehn Uhr ist in Ordnung. Äh, mach weiter.«
Olivia beobachtete Petty aus den Augenwinkeln, wie die Zofe eilig ihre Arbeit beendete und dann das Zimmer verließ. Offenbar beschäftigte Seine Lordschaft eine vollkommen andere Klasse von Dienern. Sogar Pettys Uniform aus schwarzer Gabardine war von guter Qualität, von besserer sogar als vieles, was Olivia in der Vergangenheit getragen hatte.
Walt wäre es bestimmt gelungen, dem Mädchen ein Lächeln zu entlocken, aber ihr fehlte in der Anwesenheit von Fremden diese Leichtigkeit.
Olivia hätte ein wenig von diesem Talent gebrauchen können, als sie ihr Debüt gab. Es lag gar nicht so sehr daran, dass sie schüchtern war. Vielmehr schien sie eine andere Sprache zu sprechen. Während des letzten Monats der Ballsaison hatte sie voller Erstaunen beobachtet, wie die anderen jungen Frauen mit einer einzigen neckischen Bewegung ihres Fächers die jungen Männer sprachlos machten oder ein einziger bewundernder Blick einen Verehrer dazu brachte, sich aufzuplustern wie ein stolzer Pfau.
Sie hatte es einige Male selbst versucht, doch ein Schlag mit ihrem Fächer hätte einem armen Kerl fast ein Auge gekostet, und ihr anerkennender Blick hatte einen anderen Tanzpartner veranlasst zu fragen, ob sie sich übergeben müsse.
Endlich war sie wieder allein. Erleichtert ließ sie sich auf ihre Kissen sinken. Um die Aufmerksamkeit ihres eigenen wundervollen Ehemanns zu erlangen, hatte sie solche Raffinesse nicht aufbieten müssen. An jenem Tag im Fluss hatte sie nicht im Geringsten daran gedacht, mit ihm zu flirten, und doch hatte er um sie angehalten.
Aber wie kam es, dass Dane um ihre Hand angehalten hatte, wenn sie vor jenem Tag niemals mit ihm geflirtet oder auch nur gesprochen hatte? Er hätte jede Menge anderer, hübscherer, wohlhabenderer und modischerer junge Damen haben
können. Plötzlich kam ihr ein überraschender Gedanke, und sie setzte sich auf.
Hatte er sie aus der Ferne geliebt?
Schnell schlüpfte sie aus ihrem gemütlichen Bett und ging barfuß quer durchs Zimmer zu ihrem Toilettentisch. Sie ließ sich auf dem Hocker nieder und betrachtete ihr Spiegelbild.
Zu ihrer eigenen Überraschung sah sie heute Morgen gar nicht so schlecht aus. Ihre Wangen waren leicht gerötet, und ihre zerzausten Locken waren zwar unordentlich, passten hingegen irgendwie besser zu ihr als eine strenge Frisur. Sie lächelte sich selbst zu. Sie musste Dane gefallen haben. Und ganz sicher war er von ihren Brüsten angetan gewesen.
Das Glänzen, das in ihre grauen Augen trat, als sie an die vergangene Nacht dachte, ließ sie nur noch besser aussehen, entschied sie. Besser, als sie jemals in ihrem Leben ausgesehen hatte.
Die Liebe tat ihr gut.
Freude stieg in ihr auf. Sie stand auf und wirbelte mit ausgebreiteten Armen zurück zu ihrem Bett. Wie glücklich sie doch war!
Mit breitem Grinsen machte sie sich daran, sich alleine anzuziehen und nicht nach der sauertöpfischen Zofe zu läuten. Während sie versuchte herauszufinden, wo Petty ihre Sachen hingeräumt hatte, stieß sie auf das verschlossene Kästchen, das bisher unter ihrem Bett im Haus ihrer Eltern gestanden hatte.
Es war nichts Wertvolles darin, wenn man ihre persönlichen Gedanken nicht mitzählte. Doch soweit es Olivia anging, wollte sie lieber auf ihre Kleider verzichten als auf ihr Tagebuch.
Sie öffnete das Schloss mit dem Schlüssel, den sie in der Tasche ihres Umhangs versteckt hatte, als sie gestern ihr Zuhause verlassen hatte. In dem Kästchen lag ein kleines, unscheinbares Buch.
Sie war jetzt eine verheiratete Frau. Ein Tagebuch zu führen
wäre in den Augen eines Mannes wie Dane sicherlich kindisch.
Doch es half Olivia, ihre wahren Gefühle für sich zu behalten, indem sie sie niederschrieb. Wenn sie das nicht tat, tendierten sie dazu, sich in ihr anzustauen, und sie wusste niemals, wann sie mit den schrecklichsten Dingen herausplatzen würde.
Deshalb vertraute sie alles dem Buch an, das sie von Walt bekommen
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