Der geheimnisvolle Gentleman
als ein paar Stunden geschlafen hatte.
Marcus seufzte und nahm am Schreibtisch Platz. Sie arbeiteten sich durch drei Stapel Berichte, bevor Dane wieder aufschaute. »Bleibst du zum Abendessen? Du kannst dir Olivias Pläne anhören und mein Essen zu dir nehmen, das du aus irgendeinem Grund deinem eigenen vorzuziehen scheinst.«
»Gern. Glaubst du wirklich, dass sie es schafft?«
Dane zuckte mit den Achseln. »Ihre Mutter behauptet, sie sei eine sehr erfahrene Gastgeberin.«
10. Kapitel
O livia unterdrückte die aufkeimende Panik, bis ihre Kutsche vor Cheltenham House zum Stehen kam. Sie hätte nicht gedacht, so bald schon wieder hierherzukommen, und schon gar nicht aus freien Stücken.
Dafür würde Mutter bezahlen. Wie konnte sie Dane nur derart anlügen? Nervös fragte sich Olivia, worin Mutter Dane wohl noch getäuscht hatte.
Mutter musste ihr aus der Patsche helfen, bevor das Kartenhaus aus Lügen über ihnen beiden zusammenbrach. Dane war nicht die Sorte Mann, die es leichtnahm, belogen zu werden.
Sie sprang aus der Kutsche, wobei der Diener der Greenleighs ihr half, doch sie war zu sehr in Gedanken vertieft, als dass sie ihn eines Blickes würdigte. Erst als sie in Richtung Haus gehen wollte, bemerkte sie den verächtlichen Blick, mit dem er sie bedachte.
Was war hier eigentlich los? Gütiger Gott, waren sie alle wie Petty?
Keine Zeit. Vier Tage. Wieder stieg Panik in ihr auf. Verdammt seien Petty und die gesamte Dienerschaft von Greenleigh. Olivia stand auf dem Prüfstand, und sie hatte große Sorge, dass sie nicht bestehen würde.
Mutter war noch immer im Morgenrock und trank eine Tasse Tee im sonnigen, gemütlichen, wenn auch schäbigen hinteren Salon. »Oh, guten Morgen, Olivia. Warum um alles in der Welt trägst du einen grünen Spenzer zu einem orangefarbenen Kleid?«
Warum um alles in der Welt hast du darauf bestanden, dass ich mir ein orangefarbenes Kleid kaufe? Olivia hasste das Teil. Es machte sie blass und passte zu nichts anderem. »Mutter, ich
habe keine Zeit, mit dir über meine Garderobe zu streiten. Ich bin gekommen, um mit dir über den Ball zu sprechen.«
Ihre Mutter richtete sich bei diesen Worten automatisch auf. »Ball? Was für ein Ball? Die Saison ist doch vorüber, Liebes.« Sie klopfte auf den Stapel geöffneter Einladungsschreiben, die sie durchgesehen hatte. »Ich habe hier nichts als Lesungen, Soireen und Abendessen, und nichts davon wird besonders interessant sein, da sich ja jetzt alle wichtigen Leute nach Schottland aufmachen.« Sie seufzte. »Dein Vater und ich werden wahrscheinlich nach Cheltenham fahren, obwohl es mir vor einem weiteren Winter dort graut. Sorg dafür, dass Greenleigh uns bald den Scheck schickt, ja, Liebes? Ich will, dass in diesem Winter alle Herde mit Kohlen gefüllt werden können.« Sie lächelte Olivia an. »Ist es nicht wunderbar? Wir werden uns nie mehr Sorgen um unser Auskommen machen müssen.«
»Du müsstest dir auch jetzt keine Sorgen ums Geld machen, wenn Vater nur die Hälfte der Pläne verwirklicht hätte, die Walt für Cheltenham entwickelt hatte«, sagte Olivia geistesabwesend. Mutter hatte keine Einladung zu Danes Jagdball erhalten.
Wie konnte das sein? Warum sollte er ihre Eltern nicht einladen?
Ihre Lippen bewegten sich weiter, ohne dass sie es merkte. »Allein die Instandsetzung der Mühle …«
»Olivia!« Der schockierte Tonfall ihrer Mutter riss sie aus ihren Gedanken. »Wie kannst du es wagen, deinen Vater zu kritisieren? Und dann erinnerst du mich auch noch an Walter, obwohl du doch genau weißt, wie sehr ich um ihn trauere!«
Auweia, sie hatte tatsächlich laut gesprochen. Olivia seufzte. »Mutter, warum bittest du nicht einfach Dane selbst um das Geld?«
Ihre Mutter starrte sie entrüstet an. » Ihn einweihen? Unsere delikaten Angelegenheiten einem Mann seines gesellschaftlichen Ranges offenbaren? Da würde ich es lieber dem Prinzregenten
persönlich erzählen.« Ihre Stimme wurde schrill. »Dann kann ich mir gleich ein Bettlerabzeichen ans Mieder heften. Soll ich mir Ruß ins Gesicht schmieren und auf dem Pflaster kriechen? Das würde ich noch eher tun, als mit jemandem außerhalb der Familie darüber zu reden.«
»Aber Dane ist mein Mann«, sagte Olivia beruhigend. »Er gehört jetzt zur Familie.«
»Hm.« Ihre Mutter wandte sich ab. »Dank meiner Bemühungen. Trotzdem, glaubst du wirklich, er hätte dich ein zweites Mal angesehen, wenn er gewusst hätte, dass wir womöglich kurz vor einem Skandal
Weitere Kostenlose Bücher