Der geheimnisvolle Gentleman
großes. Selbst jetzt, da er vor der Tür seiner Braut stand, fühlte er, wie ihn Panik überwältigte. Verdammt, er hatte sie noch nicht einmal berührt!
Er konnte nichts dagegen unternehmen. Es gab niemanden, mit dem er darüber reden konnte, weder mit anderen Männern noch mit einer anständigen Frau, nicht einmal mit einer Frau, die es mit der Moral nicht so genau nahm.
Dane hatte deswegen einst einen Arzt aufgesucht. Der Mann hatte laut zu lachen angefangen und ihn mit einem Schulterklopfen nach Hause geschickt. »Das ist kein Problem, Mylord. Das ist ein Geschenk Gottes!«
Ein Geschenk Gottes? Wenn selbst die erfahrensten Kurtisanen sich erschrocken von ihm abwendeten? Wenn von ihm erwartet wurde, mit einem unschuldigen, tugendhaften Mädchen einen Sohn zu zeugen?
Es gab Männer, die sie dazu zwingen würden. Es war sein Recht als ihr Ehemann. Das Gesetz war eindeutig auf seiner Seite. Dane erschauderte. Es widerte ihn an, dass er auch nur daran gedacht hatte. Es gab vieles, was er tun würde, um die Zukunft Greenleighs zu sichern, aber das gehörte eindeutig
nicht dazu. Wenn es einen anderen Erben geben würde, hätte Dane nicht im Traum daran gedacht zu heiraten. Lieber hätte er bis zu seinem Tode keusch gelebt, als eine Frau mit seinem, tja, Problem zu behelligen.
Und doch war er jetzt hier und kurz davor, das Schlafzimmer seiner Braut zu betreten, während sein Problem ungehindert anwuchs.
Er hatte sein Möglichstes getan, diesen Zeitpunkt hinauszuzögern, sogar einen großen Teil seiner Hochzeitsnacht in seinem Studierzimmer mit seiner Arbeit zugebracht. Dann, als die Uhr zur elften Stunde schlug, war ihm klar geworden, dass er es nicht länger vor sich herschieben konnte.
Auf der anderen Seite seines Schreibtisches saß sein bester Freund und Protegé Marcus Ramsay, Lord Dryden. Er bemerkte, wie Dane das Gesicht verzog, und schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht ohne Reiz, weißt du.«
Dane zuckte gleichgültig mit den Achseln und bemühte sich sorgsam um einen neutralen Gesichtsausdruck. »Sie ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Eine wirklich schöne Frau würde mich zu sehr ablenken.«
Marcus neigte den Kopf zur Seite. »Was ist dann los mit dir? Warum arbeitest du, wenn du eigentlich in den Armen deiner Braut liegen solltest?«
Dane seufzte und hievte sich mit beiden Armen aus seinem Sessel. »Ich bin schon auf dem Weg zu ihr. Zufrieden?«
Marcus grinste. Ein Anflug von schelmischem Übermut glitt über seine ansonsten so ernsten Gesichtszüge. »Ich denke nicht, dass ich es bin, um dessen Befriedigung es heute Nacht geht.«
Das war nicht sehr wahrscheinlich, aber er konnte Marcus schlecht sagen, warum. Dane runzelte die Stirn. »Wir reden hier über meine Frau.«
Marcus hob abwehrend beide Hände. »Entschuldige vielmals. Und jetzt hinfort mit dir. Ich werde diese Dokumente heute Nacht dem Premierminister eigenhändig überbringen.
Da Napoleons Meisterspion ja immer noch auf freiem Fuß ist, will ich sie lieber keinem Kurier anvertrauen.«
Dane nickte. Die Schimäre durfte nicht unterschätzt werden. Die Royal Four hatten diesen Fehler schon einmal gemacht. Fast ein ganzes Jahr lang hatte der mysteriöse Anführer des französischen Spionagerings in London seine Identität vor dem Liar’s Club verbergen können, jener Gruppe der besten Spione, die für die Royal Four arbeitete. Erst während der letzten Wochen hatten sie entdeckt, dass die Schimäre ein erstklassiger Verwandlungskünstler war, der unter ihnen als etwas launenhafter junger Diener aufgetreten war, den sie alle als harmlos eingestuft hatten.
Denny, sicherlich nicht sein echter Name, war von einem Spion zum anderen weitergereicht worden, wann immer sein aufsässiges Verhalten es unmöglich gemacht hatte, ihn in einer Anstellung zu behalten. Dane fragte sich inzwischen, ob das nicht wiederum Bestandteil des Plans der Schimäre gewesen war. Vom Haushalt eines Spions zum nächsten zu wandern, war bestimmt vorteilhafter für ihn gewesen, als einzig im Dienst des ehemaligen Meisters des Spionagerings Simon Raines zu verbleiben, der inzwischen in den Ruhestand getreten war.
Die Schimäre wusste viel zu viel über den Liar’s Club. Aber wie viel wusste er über die Royal Four? Nur dem Premierminister und dem Prinzregenten selbst waren alle Einzelheiten über die Vier bekannt, sowie dem derzeitigen Meister des Liar’s Club, Dalton Montmorency, Lord Etheridge, der einst einer von ihnen gewesen war.
In Gedanken
Weitere Kostenlose Bücher