Der geheimnisvolle Gentleman
Buttermilch auf ihrem Rock?
Das war es, und nicht nur das.
»Ach, steh auf, Mädchen!« Die oft imitierte königliche Stimme klang gepresst und angestrengt.
Rasch erhob sich Olivia – etwas zu rasch. Ihr Kopf stieß auf seinem Weg nach oben heftig gegen irgendetwas. Voller Entsetzen schaute sie auf und sah, wie der Prinzregent über ganz Britannien sich das schmerzende Kinn rieb.
»Tollpatschiges Weib!« Der Oberbefehlshaber des Schemels
schubste Olivia weg und ließ sie auf dem Kies straucheln.
Der Prinzregent verscheuchte den Mann mit einer ungeduldigen Geste. »Guter Gott«, murmelte er und rieb sich noch immer das Kinn. »Verschone mich mit stolpernden Zimmermädchen! Wenn das alles ist, wozu Greenleigh in der Lage ist, dann kann ich auch gleich wieder in diese verdammte Kutsche steigen, die einem den Arsch zertrümmert.«
Olivias Kopf tat weh, doch noch schlimmer wog der Schmerz in ihrer Brust. Dane hatte befürchtet, sie würde versagen, und das tat sie, und zwar kläglich. Man konnte es dem Prinzregenten nicht verdenken, wenn er voller Entrüstung auf der Stelle kehrtmachte. Entsetzt spürte sie, wie ihr die Tränen kamen. Sie presste beide Hände vor die Augen, doch es war einfach zu viel! Diese letzte Demütigung passte schließlich viel zu gut ins Bild.
Vor dem Prinzregenten brach sie in Tränen aus.
Dane war auf halbem Weg durch den Wald, als er sich daran erinnerte, dass der Prinzregent jeden Augenblick ankommen könnte und er vergessen hatte, mit Olivia darüber zu sprechen. George machte nur allzu gern irgendeinen Unsinn, wenn er nicht unter Beobachtung stand, und Dane wollte die Gelegenheit nutzen, ihn für die eine oder andere Dame, die er zu dem Ball eingeladen hatte, zu interessieren.
Dane parierte Galahad durch. Der Hengst scheute protestierend. Dane beugte sich vor und tätschelte den starken weißen Hals.
Olivia hatte gelacht, als er ihr Galahad vor zwei Tagen vorgestellt hatte. »Galahad? Der jungfräuliche Hengst? Bin ich die Einzige, die das komisch findet?«
Fast gegen seinen Willen musste Dane in sich hineinlachen. Olivia konnte einfach nicht verhindern, dass der erste Gedanke, den sie im Sinn hatte, nicht auch über ihre Lippen kam.
Er richtete sich auf und atmete tief ein. Er wusste, dass Marcus niemals etwas mit der Frau eines anderen Mannes anfangen würde. Er glaubte, dass Olivia ungefähr so trügerisch war wie ein klarer, blauer Himmel. Selbst bei diesem lächerlichen Zwischenfall mit dem Räucherfisch handelte es sich wahrscheinlich um ein Versehen und nicht um Nachlässigkeit ihrerseits. Er erkannte mit einem Mal, dass er nicht vor diesen Belanglosigkeiten davonritt, sondern vor sich selbst.
Er konnte nicht zulassen, dass er Olivia liebte. Im Leben des Löwen war für Liebe kein Platz. Es gab einfach keinen Platz für irgendetwas außer seiner Pflicht.
Sein erster Fehler war gewesen zu glauben, er könnte ihre Leidenschaft wecken, ohne selbst in irgendeiner Weise davon betroffen zu sein. Jeder Mann ohne weltliche Erfahrung wäre empfänglich, vor allem für eine Frau wie Olivia.
Er würde es einfach nicht zulassen. Wenn er sich von ihr fernhielt, ihr Bett für eine Zeitlang mied, ihre warme, generöse Umarmung, würde das Gefühl mit Sicherheit nachlassen. Die Leute ver- und entliebten sich schließlich andauernd. Leidenschaft flammte auf und verbrannte zu Asche. So war der natürliche Lauf der Dinge.
Er würde sich in eine Position kühler Gleichgültigkeit zurückziehen, bis seine Leidenschaft von selbst abflaute. Wenn er sicher sein konnte, dass sie ihn nicht mehr allzu sehr beschäftigte, würde er wieder zu ihr gehen. Er war sich nicht sicher, wie lange es dauern würde, aber sie hatten ja ihr ganzes Leben dafür Zeit.
Erleichtert wendete Dane Galahad und trieb den Hengst im Galopp durch den Wald zurück nach Kirkall Hall.
Als Dane im Haus zurück war, unterrichtete ihn Kinsworth, dass Seine Königliche Hoheit bereits angekommen sei. Weitere Kutschen rollten die Auffahrt entlang. »Wo ist die Herrin?«
Kinsworth blinzelte geheimnisvoll. »Das weiß ich nicht, Mylord.«
»Was ist mit Lord Dryden?«
»Seine Lordschaft ist gestürzt und erholt sich in seinem Zimmer.«
Daran dachte er am besten gar nicht.
Trotz der Abwesenheit der Herrin des Hauses war klar, dass sein Haushalt alles im Griff hatte. Dane wandte sich um, um die ankommenden Gäste allein zu begrüßen. Von Minute zu Minute machte er sich größere Sorgen um seine verschwundene Frau. Wo
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