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Der gehetzte Amerikaner

Der gehetzte Amerikaner

Titel: Der gehetzte Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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Zug in der Ferne wieder verschwand
und das Rattern der Wagen in der dunstigen Luft noch schwach
nachzitterte, erhob er sich und rutschte die Böschung hinunter,
ohne noch einen einzigen Blick hinter sich auf die Mauer zu werfen.
      Als er die Gleise überquerte und auf der anderen
Seite die Böschung wieder hinaufkroch, schlug eine Turmuhr die
halbe Stunde. Seit er die Zelle verlassen hatte, waren also zwanzig
Minuten vergangen – länger hatte er nicht gebraucht.
      Wenn nichts schiefginge, würde er noch zwölf Stunden Vorsprung bis zum ersten Morgen-Rundgang haben.
      Er stieg über die niedrige Mauer des Kirchhofs
und schlich langsam zwischen den Grabsteinen entlang. Aus den hohen
Fenstern der Kirche fiel ein Licht, und eine Orgel intonierte die
ersten Takte einer Hymne. Einen Moment später fiel die
Kirchengemeinde ein, und ihre Stimmen klangen in die Nacht.
      Jetzt wußte Brady, daß die Abendandacht
begonnen haben mußte. Er hielt sich immer an der Mauer entlang,
bis er zum Tor kam, und schlüpfte dann hinaus.
      Es war eine ärmliche Gegend, in die er geraten
war. Die angrenzenden Straßen wurden von halbverfallenen,
niedrigen Häusern gesäumt. Der bewußte Laden lag an
einer Ecke, nur etwa zwanzig bis dreißig Meter entfernt. Ein Auto
knatterte vorbei, Radreifen quietschten über den nassen Asphalt,
doch dann war alles wieder ruhig.
    Während er den Fahrdamm
überquerte, hielt er den Schlüssel bereit in der Hand. Im
Magen spürte er plötzlich eine Leere, und so etwas wie Angst
kroch in ihm hoch. Vielleicht hatte Evans schlechte Arbeit geleistet?
Vielleicht würde der Schlüssel doch nicht in das Schloß
passen? Nun, das konnte man ja gleich feststellen.
      Er trat in den dunklen Eingang des Geschäftes,
zögerte für den winzigen Bruchteil einer Sekunde und beugte
sich dann nieder. Seine tastenden Finger fanden das Schlüsselloch;
der Schlüssel drehte sich leicht! Einen Moment später stand
Brady drinnen, den Rücken an die Tür gelehnt, und er empfand
Unbehagen und Furcht beim Bewußtsein seiner Situation.
      Hinter dem Ladentisch befand sich eine zweite
Tür, auf die er schließlich zuging und sie öffnete. Ein
kleines Fenster gab den Blick auf einen dunklen Hof frei. Er zog die
Vorhänge zu und drehte das Licht an.
      Der Raum war mit Waren aller Art vom Fußboden
bis an die Decke vollgestopft. Die meisten Gegenstände sahen
getragen und gebraucht aus, aber er fand noch ein ganz brauchbares
Tweedjackett sowie passende Hosen dazu und suchte sich auch ein Paar
Schuhe von einem Haufen in der Ecke zusammen. Die anderen Dinge, die er
dann noch benötigte, fand er in einem Regal.
      In einer Ecke war ein Waschbecken angebracht, mit
einem Spiegel darüber. Dort machte er sich schnell etwas zurecht.
Das Gesicht eines Fremden sah ihm entgegen; die Haut spannte sich
über den Wangenknochen, und das Haar klebte an seinem Kopf.
    Es gab nur kaltes Wasser, aber er zog sich trotzdem aus und
    wusch sich den Gefängnisschmutz ab. Danach frottierte er sich
kräftig. Das Jackett und das neue weiße Oberhemd
paßten wie erwartet, und als er fertig angezogen war, schob er
seine alten Sträflingskleider unter den Haufen der getragenen
Kleidungsstücke in der Ecke und trat zurück in den Laden. Er
sah sich um.
    Evans hatte recht gehabt; es lag Bargeld
in der Kasse: Drei Pfund in Zehnshillingnoten und zwei Pfund in Silber.
Er schob das Geld in seine Jackettasche, griff sich noch einen billigen
Trenchcoat von einem Haken und entdeckte auch noch einen alten Hut auf
dem Ladentisch. Er war zwar eine Nummer zu groß, aber schräg
über ein Ohr gezogen, sah er noch ganz respektabel aus.
      Nachdem er soweit fertig war, ging Brady auf die
Außentür zu und öffnete sie. Kein Geräusch war zu
hören. Vorsichtig zog er die Tür hinter sich zu und ging auf
dem mit Ziegelsteinen gepflasterten Bürgersteig die Straße
entlang. Hinter ihm verklang der Gesang, der aus der Friedhofskapelle
drang.
      Der Regen prasselte herunter. Brady schlug den Kragen
hoch und blieb an einem Zigarettenautomaten stehen, um
Streichhölzer und Zigaretten zu ziehen. Jetzt, nachdem er frei
war, schmeckte die Zigarette ganz anders als hinter
Gefängnismauern, mußte er feststellen, und zum erstenmal
seit langen Monaten fühlte er sich wieder als lebendiger Mensch.
Einer der Vorteile seiner Arbeit auf dem Bau innerhalb des
Gefängnisses war die Tatsache gewesen, daß er dadurch
Gelegenheit gehabt hatte, sich den Plan der Stadt gut

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