Der gehetzte Amerikaner
hinüberzukriechen.
Der Träger war von dem Staub vieler Jahre
bedeckt, der in leichten Wölkchen hinunterrieselte, ihm in die
Nase stieg und den Drang zum Niesen in ihm weckte.
Das Entlüftungsfenster war verschlossen. Er
versuchte, es aufzustoßen, aber es bewegte sich nicht. Er holte
deshalb seine Drahtschere heraus und trennte den Drahtzug durch, der an
der Kuppel entlang nach unten zur Zentrale lief. Die beiden
durchschnittenen Enden hielt er fest und legte das längere Ende um
einen Haken herum. Dann stieß er das Fenster auf und kroch
hinaus.
Die Aussicht war großartig: Die Lichter von Manningham
leuchteten durch den Regenschleier; ein Zug ratterte hinter der Mauer vorbei und pfiff durch die stille Nacht…
Brady atmete die frische Luft tief in sich ein und war von einer unsagbaren Freude erfüllt.
Die Regenrinne stammte noch aus den Zeiten der
Königin Victoria, war solide und fest in die Wand eingelassen und
schien so unzerstörbar, als ob der Erbauer sie ebenso haltbar
machen wollte wie das ganze Gebäude.
Brady glitt rückwärts über den Rand der
Dachrinne, ohne einen Gedanken an die Gefahr zu verschwenden. Einen
Augenblick hing er dort und begann dann ruhig abzusteigen. Seine
Hände konnten mit Leichtigkeit in den Zwischenraum zwischen
Regenrohr und Mauer fassen.
Er brauchte kaum eine Minute, um auf den First von
Block D hinabzukommen. Von dort konnte er erkennen, wie ein Wagen unten
im Hof wartend vor dem Tor stand. Ein Wachhabender kam heraus und
beugte sich zum Fenster hinab. Einen Augenblick später gab er ein
Zeichen, das Tor öffnete sich, und der Wagen fuhr hinaus.
Wahrscheinlich saß der Direktor darin, der zu einer
Sonntagabend-Bridgepartie fuhr… Brady mußte
unwillkürlich grinsen. Der Bursche würde morgen einiges zu
tun bekommen…!
Ohne besondere Schwierigkeiten kletterte Brady den
Dachfirst entlang, breitbeinig, auf jeder Seite einen Fuß, und
die Hände gegen die Ziegel gestemmt. Der Schornstein der
Wäscherei war noch warm. Brady kletterte um ihn herum und
spähte hinunter.
Diesmal konnte er nicht das geringste
sehen. Er erinnerte sich plötzlich an Evans' Worte, der ihn
gewarnt hatte, daß ihm, selbst wenn er bis hierher gelangt sei,
doch immer noch die größte Aussicht darauf winke, den Hals
zu brechen… Unwillkürlich schauderte er; doch dann
schüttelte er diese Gedanken ab, kauerte sich nieder und rollte
schnell das zusammengelegte Seil ab.
In gewisser Weise stand ihm jetzt die schwierigste
Partie seiner Flucht bevor. Er konnte das Seil nicht am Schornstein
befestigen, weil er es noch benötigte, um sich später an der
Außenmauer herunterzulassen. So legte er das Seil nur einmal um
den Schornstein herum und verschnaufte noch einen Augenblick vor dem
Abstieg. Beide Seilstränge fest in den Händen, ließ er
sich dann vorsichtig über den Rand des Daches hinunter.
Seine Füße glitten über die nassen
Ziegel der Hausmauer; er schürfte sich die Knie auf, schlug
schmerzhaft gegen die Wand und plumpste dann schwer auf das horizontal
vom Haus weg laufende Rohr. Mit gespreizten Beinen setzte er sich
darauf, zog das eine Seilende ein, wodurch das andere in die Nacht
hinunterfiel, und rollte dann das Seil sorgfältig auf.
Dann legte er es sich um den Hals und begann, Zentimeter um Zentimeter auf dem Rohr entlangzurutschen.
Während der folgenden Minuten schien die Zeit
stehenzubleiben. Alle Geräusche verstummten, als er sich durch die
totale Finsternis vorwärtsbewegte. Es kam ihm wie ein Traum vor,
als er endlich mit der einen Hand rauhes Steinwerk berühren und
den Rand der Mauer erkennen konnte eine dunkle Linie gegen den
Nachthimmel.
Schnell rollte er das Seil wieder auf, befestigte ein
Ende um das Rohr und schleuderte das andere über den Rand. Er
verkrallte seine Finger in einem winzigen Riß des Steinwerks und
richtete sich langsam auf.
Die Mauerkante war bequem für ihn zu erreichen.
Er zog sich daran hoch, wobei er die rostigen Zinken sorgfältig
mied, und glitt dann auf der anderen Seite hinunter. Für einen
Augenblick hing er schwankend am Ende des zu kurzen Seils, bevor er
sich ungefähr zwei Meter tief in das nasse Gras am Rande des
Abhanges fallen ließ, der zur Eisenbahnlinie hinunterführte.
Er war sofort bis auf die Haut durchnäßt. Als sich ein Zug
näherte, preßte er seinen Körper fest auf den
Boden und drückte sein Gesicht in das nasse Gras. Sein Herz schlug
ihm bis zum Hals. Endlich, als der
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