Der gehetzte Amerikaner
Horoskop deutet auf
eine gefährliche, manchmal fast explosive Tendenz zur
Gewalttätigkeit in Ihrem Charakter hin. Sie neigen dazu, jeden
Menschen, dem Sie begegnen, mit Mißtrauen zu betrachten. Sie sind
sich selbst der schlimmste Feind!«
Brady lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und ein
gewaltsames, bitteres Lachen brach aus ihm heraus. »Donnerwetter,
das ist ja einfach umwerfend!«
Die alte Frau schaute zu ihm herüber; ihre Augen
glitzerten im Lampenlicht. »Sie scheinen das, was ich Ihnen
sagte, recht lächerlich zu finden, junger Mann.«
»Ja, und das ist noch weit untertrieben«,
gab Brady zurück. Sie stapelte bedachtsam ihre Bücher
aufeinander und ordnete ihre Papiere. »Wer, sagten Sie, hat mich
Ihnen empfohlen?«
»Ich habe nichts dergleichen gesagt«,
entgegnete Brady. »Aber damit Sie es wissen: Es war Ihre Tochter,
Jane Gordon, die Sie mir empfohlen hat!«
»So?« fragte die alte Frau ungläubig.
»Nun, wir werden sehen. Ich erwarte sie heute abend, sie
muß jeden Moment hier eintreffen.«
»Da werden Sie noch sehr lange Zeit zu warten
haben, Mrs. Gordon«, sagte er ruhig. »Ihre Tochter ist
nämlich…«
Ihr Gesicht schien vor seinen Augen in ein runzeliges,
gelbes Blatt Pergament zu verwelken. Ihre Hand fuhr zum Munde; sie
keuchte schwer und begann entsetzt zu röcheln.
Brady ging um den Tisch herum, trat an ihre Seite und
bemerkte, daß sie mit einer Hand am Griff einer Schublade zog. Er
riß den Kasten auf und fand ein kleines Glasröhrchen mit
weißen Tabletten. Auf einem Wandbrett stand eine Wasserkaraffe.
Er füllte schnell ein Glas mit Wasser und brachte es ihr; sie
zwängte sich zwei der Tabletten in den Mund und spülte sie
dann hinunter.
Nach einer Weile seufzte sie auf, und ein
trockenes Schluchzen stieg aus ihrer Kehle. »Ich muß
vorsichtig sein und mich vor plötzlichen Aufregungen
hüten.«
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er.
»Aber diese Art von Neuigkeiten kann man leider nicht in
hübsches Papier wickeln und ein rosa Schleifchen darum binden
– jedenfalls nicht in diesem Fall!«
Er wunderte sich, daß sie, ohne eine einzige
Frage an ihn zu stellen, von der Richtigkeit und Wahrheit seiner
Behauptung sofort überzeugt zu sein schien.
»Wer hat sie umgebracht?« fragte sie lediglich.
»Ein Mann namens Haras«, erwiderte Brady fest. »Anton Haras. Kennen Sie ihn vielleicht?«
»Ich kenne ihn«, bestätigte sie
dumpf, nickte mit dem Kopf und starrte mit ihren schwarzen Augen in die
Dunkelheit außerhalb des Lampenscheines.
»Ich kenne ihn.« Dann drehte sie sich um
und schaute fest auf Brady. »Und wer sind Sie, junger
Mann?«
»Ich bin Matthew Brady«, sagte er einfach.
»Ah, ja«, entgegnete sie, ohne besonderes
Erstaunen zu zeigen. »Ich wußte es, daß Sie einmal
kommen würden; schon lange wußte ich das.«
»Sie waren doch damals, an jenem Abend, mit in
dem Haus, nicht wahr?« fragte er sie. »Wer war der Mann,
der sich damals bei Ihrer Tochter aufhielt?«
»Miklos Davos«, erwiderte sie flüsternd.
Brady runzelte verblüfft die Stirn. »Miklos Davos? Meinen Sie etwa den Ölkönig?«
Sie nickte eifrig. »Ja, er! Manche Leute sagen,
er sei der reichste Mann der Welt. Ich weiß nur, daß er der
schlechteste Mann der Welt ist, Mr. Brady!«
»Erzählen Sie mir doch bitte, was damals in jener Nacht geschah«, bat er.
In der Erinnerung an jene fernen Ereignisse schien ihre Stimme wie von weit her zu kommen.
»Meine Tochter war in ein schändliches
Verhältnis verwickelt, Mister Brady. Sie war völlig unter dem
Einfluß von Mister Davos. Für sie konnte er einfach nichts
Böses tun. Er war ein brutaler Sadist, der ständig nur nach
neuen Abwechslungen suchte.«
»Und wann kam Marie Duelos mit in das Spiel?«
Die alte Frau wandte sich resigniert ab. »Sie
war eine Französin, die ihm besonders gut gefiel. – Ich
weiß auch nicht, weshalb. Sie war in der Wohnung im ersten Stock
untergebracht; dem anderen Mieter wurde gekündigt. Zwei Monate
lang besuchte er sie fast täglich.«
»Kam er dabei über den Friedhof?« fragte Brady.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, diesen Weg
benutzte er nur während der einen Woche, als die Straße
überholt wurde. Er wollte nicht, daß ihn der
Nachtwächter sah, wenn er das Haus betrat.«
»Aber warum hat er denn das Mädchen umgebracht?«
»Sie versuchte ihn zu erpressen. Das war
natürlich äußerst dumm von ihr, denn er war
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