Der gehetzte Amerikaner
Mann da eine alte Frau getötet hat«, sagte Brady
schwer und setzte hinzu: »Sie wohnte da drüben, in dem
ehemaligen Küsterhaus.«
Der Pfarrer richtete sich langsam auf. »Meinen
Sie etwa Mrs. Gordon? Aber wie konnte denn das geschehen?«
Er trat an Brady heran und schaute ihm starr ins Gesicht, und plötzlich dämmerte ihm eine Ahnung.
»Sie sind doch Matthew Brady, nicht wahr? Sie
sind der Mann, hinter dem die Polizei her ist! Ich habe heute abend Ihr
Foto in der Zeitung gesehen!«
Wortlos drehte sich Brady um und schritt rasch davon.
Als er schließlich die Straße erreicht hatte, begann er
sogar zu rennen.
Wenige Augenblicke später kam er bei seinem abgestellten Wagen an und fuhr davon.
10
Miklos Davos wohnte in Mayfair, das konnte Brady in der ersten
Telefonzelle feststellen, an der er vorbeikam. Als er wieder in seinen
Wagen stieg, zitterten seine Hände noch immer. Er mußte sich
eine Beruhigungszigarette anstecken, bevor er wieder weiterfuhr.
Der alte Pfarrer hatte unterdessen bestimmt schon die
Polizei benachrichtigt, und dort würde man jetzt wissen, daß
er, Brady, der ausgebrochene Zuchthäusler, sich hier in London
herumtrieb. Und nachdem sie erst einmal die Ermordung von Jane Gordon
und ihrer Mutter sowie den gewaltsamen Tod von Haras entdeckt hatten,
würde die Hetzjagd auf ihn ohne Erbarmen beginnen.
Eine einzige Chance war ihm noch geblieben. Er
mußte bis zu Davos vordringen und aus ihm die ganze Wahrheit
herausquetschen, denn Davos war die einzige Person auf Erden, die jetzt
noch die wahren Zusammenhänge kannte.
Während er den Wagen sicher durch den starken
Verkehr lenkte, versuchte er sich zu erinnern, was er überhaupt
von Davos wußte. Es war leider nicht allzuviel.
Auch Davos war ungarischer Abstammung, was jedenfalls
seine Verbindung mit Haras erklärte. Er hatte einen
merkwürdigen und rätselhaften Charakter und scheute besonders
jede Publicity wie die Pest. Man behauptete von ihm, daß er
effektiv die gesamte Ölversorgung der westlichen Welt
kontrollierte. Er war ein harter, erbarmungsloser Mann, der
Begründer eines Imperiums, der alle Gegner und alle Opposition
gnadenlos zerschmetterte.
Brady preßte die Zähne aufeinander, während er den Wagen
in eine ruhige Nebenstraße in der Nähe der Park Lane
lenkte. Wahrscheinlich, so dachte er bei sich, war es Zeit, daß
jemand einmal Mr. Davos seine Grenzen zeigte.
Das Anwesen von Miklos Davos war im Stil der Zeit von
König George erbaut, aber sehr gut instand gehalten. Es schien
dort gerade eine Party stattzufinden; auf der Straße war eine
lange Reihe von Wagen abgestellt.
Das Haus von Davos hatte die Nummer 20. Brady fand
endlich einen Parkplatz, kletterte aus seinem Wagen und stieg die
Stufen zur Haustür empor. Entschlossen drückte er den
Klingelknopf.
Von irgendwoher aus dem Innern des Hauses drangen
Musik und Gelächter. Nach einer Weile ertönte ein
protestierender Fluch von der anderen Seite der Tür; diese wurde
aufgerissen und flog mit einem Krach gegen die Wand.
Der Mann, der Brady dann gegenüberstand, war
schon stark angetrunken. Er trug ein Kordjackett, hatte einen
fransigen, langen Bart und einen auffallend stieren Blick.
»He, wenn Sie vorhaben sollten, die ganze Nacht
dort stehenzubleiben, alter Knabe, dann ist mir das auch ganz
recht«, rief er fröhlich und torkelte wieder zurück.
Der Korridor war durch Kerzen schwach erleuchtet.
Tosender Lärm vom anderen Ende des Ganges kündete vom Wirbel
der Party; jedoch drangen auch, als Brady weiterging, aus einem Zimmer
zur Rechten laute, lustige Schreie und hitzige Musik.
Brady ging zunächst weiter und trat
in den Raum am Ende des Korridors. Er fand sich plötzlich vor
einer lärmenden, durcheinanderquirlenden Menschenmenge. Jedermann
schien zu jedem sprechen zu wollen, und ihre Stimmen mischten sich zu
einem unentwirrbaren Getöse. Die Fenster waren abgedichtet; das
einzige Licht kam von Kerzen, die in alte Weinflaschen gesteckt und an
verschiedenen strategischen Punkten innerhalb des ganzen Raumes
aufgestellt waren.
Brady war sehr verwirrt. Diese Art Party hätte er
von einem Mann wie Miklos Davos keineswegs erwartet. Die stimmungsvolle
Atmosphäre versetzte ihn fast zurück in seine Jugend, als er
noch in Greenwich Village lebte und an der Columbia-Universität
studierte… Die meisten der hier anwesenden Männer trugen
längeres Haar als die Mädchen, und die überwiegende
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