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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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schwarzes Loch fraß, das seine Zukunft sein würde. Die Null hinter der Zwei blähte sich auf, platzte in seinem Kopf. Er rutschte die Wand hinunter und japste nach Luft. Jemand zog ihn am Arm hoch.
    »Komm, komm Jungchen, reiß dich zusammen.« Der Alte, der an der Dusche vor ihm gestanden hatte, hielt ihn aufrecht. Er lächelte. »Welch ein großer Name unter uns«, flüsterte er. »Ich habe einige Ihrer Konzerte im Konservatorium besuchen dürfen.«
    Da war es, als streife ihn sein altes Leben wie ein Luftzug. Er sah den Alten an und sagte verwundert: »Meine Geige! Wo ist meine Geige?«

Kapitel 9
    Z wei Tage nach Iljas Verhaftung hatte sie die Kinder bei Edita abgeholt. Als sie sie zu Bett gebracht hatte und am Esstisch bei einer Tasse Tee versuchte, alle Informationen zu sortieren und zu bewerten, während sie sich bemühte, das Unglaubliche zu begreifen, war sie erschöpft eingeschlafen.
    Am nächsten Morgen bereitete sie den Söhnen ein Frühstück zu und fuhr erschrocken zusammen, als es läutete. Meschenow stand vor der Tür. Er hatte rotgeränderte Augen und wich ihrem erwartungsvollen Blick aus. Das Sprechen fiel ihm schwer, er atmete immer wieder stöhnend aus, so als bereite jeder Satz ihm Schmerzen.
    Dass man wohl tatsächlich davon ausgehen müsse, dass Ilja sich abgesetzt habe, und nein, das müsse sie ihm glauben, davon habe er nichts gewusst.
    Als sie ihn fragte, ob er von dem Antrag gewusst habe, von Iljas Bitte, sie und die Kinder mit nach Wien zu nehmen, schloss er die Augen und stöhnte erneut auf.
    »Nein, davon habe ich erst jetzt erfahren, sonst hätte ich …« Er schüttelte den Kopf. »Es war alles schon zu spät.«
    Klein und vom Kummer gebeugt, verließ er das Haus. Vom Fenster aus blickte sie ihm nach, nicht ahnend, dass es das letzte Mal war, dass sie ihn sah.
    Der Samstag verging wie unter einer Glocke. Ein Vakuum, in dem sie sich bemühte, ihre Kinder zu versorgen und flach zu atmen. Die Zeit schlich zäh dahin, und sie wartete, ohne zu wissen, worauf. Der Antrag, die Aussage von Jarosch. Von Mal zu Mal erschienen ihr die »Beweise«, die man ihr vorgelegt hatte, dürftiger, und eine Stimme in ihr wurde lauter. »Das hat Ilja nicht getan.« Wenn die alte Standuhr im Wohnzimmer die volle Stunde schlug, zuckte sie zusammen, sagte sich, sie müsse etwas tun, und hatte keine Idee, was das sein könnte.
    Erst am Sonntag erwachte sie aus diesem Stupor. Sie musste fort! Mehrmals versuchte sie, eine Freundin in Leningrad zu erreichen. Am Nachmittag endlich kam die Verbindung zustande. Galina erzählte nicht, was geschehen war, sagte, sie würde gerne zu Besuch kommen. Wie in Trance legte sie abends einige Sachen zusammen. Die Mappe mit den Zeitungsausschnitten, in denen Iljas Konzerte und ihre Theaterauftritte kommentiert waren. Die losen Kartonseiten mit den Fotos. Als sie ihre Schmuckschatulle öffnete, bemerkte sie, dass einige Stücke seit der Hausdurchsuchung fehlten. Ihr fiel das versteckte Fach in Iljas Schreibtisch ein, in dem er Bargeld aufbewahrte. Wenn sie es gefunden hatten, wäre es wohl auch fort. Sie zog die Schublade heraus, die nur die halbe Tiefe des Schreibtisches hatte, tastete nach dem Einschub dahinter und atmete erleichtert auf. Allerdings musste sie enttäuscht feststellen, dass es deutlich weniger war, als sie gehofft hatte. In der folgenden Stunde nähte sie das Geld und kleine Schmuckstücke wie Ohrringe und Kettenanhänger in das Futter und den Saum ihres Rockes. Später konnte sie sich nicht erklären, warum sie das getan hatte. Später meinte sie manchmal, ein Schutzengel habe sie gelenkt.
    Am Montagmorgen, kurz nach vier Uhr, hämmerte es an der Haustür. Sie warf sich eilig den Morgenrock über, lief in Richtung Tür und blieb zwei Meter davor abrupt stehen. Sie hörte Pawel weinend rufen. Wieder schlug jemand mit der Faust gegen das Türblatt.
    Da wusste sie es. Da wusste sie, worauf sie am Samstag gewartet und was sie am Sonntag gefürchtet hatte. Der Gedanke, den sie zwei Tage lang verweigert hatte, setzte sich durch, wurde laut. »Sie holen dich.«
    Sie öffnete. Ein Mann stieß sie zur Seite, und zwei weitere folgten ihm hinein. Die Tür fiel ins Schloss.
    Zwei der Männer kannte sie. Sie hatten sie zu Kurasch gebracht.
    »Packen«, sagte der Kleinere der beiden, »aber nicht mehr, als du tragen kannst.«
    Sie rührte sich nicht. Es war albern, aber es war dieses »Du«, das sie ängstigte.
    »Meine Kinder«, sagte sie, »dann ist niemand bei meinen

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