Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)
Wassiljewitsch Grenko« unter die Zeile »Moskau, den 21. 05. 1948«.
In den Tagen danach hatte er sterben wollen, und gleichzeitig hatte er die dünne Suppe und das Brot verschlungen, als wäre weiterzuleben sein einziges Ziel. Am 21. Mai hatte er das Geständnis unterschrieben, fünfzehn Tage nach seiner Verhaftung, und es war, als habe er mit der Unterschrift sein Leben verkauft. Für Galina und die Kinder, flüsterte er vor sich hin, und manchmal verfing er sich in einem Netz letzter Hoffnungen. Der Prozess, dachte er. In meinem Prozess kann ich erklären, wie es zu dem Geständnis gekommen ist.
Das ewig brennende Licht, das Fiepen der Lautsprecher, nichts änderte sich.
Wann hatte er es begriffen? Es war nie ein konkreter Gedanke gewesen, eher eine Ahnung, die ihm flüsternd und sacht diese letzte Zuversicht nahm.
Es würde keinen Prozess geben!
Manchmal sah er Galina und die Kinder vor sich. Im Wohnzimmer, sie mit Ossip auf dem Arm und Pawel mit den Bauklötzen zu ihren Füßen, so wie er sie das letzte Mal zusammen gesehen hatte. Dann sprach er mit ihnen, während er geistesabwesend die unzähligen Flohstiche aufkratzte.
Mit stumpfer Gleichgültigkeit starrte er stundenlang vor sich hin. Manchmal konzentrierte er sich auf das Ungeziefer um ihn herum. Er beobachtete die Flöhe und Wanzen in der Decke, zog seine Jacke und Hose aus, fing sie ein, hielt sie eine Ewigkeit zwischen Daumen und Zeigefinger gefangen, bis er meinte, das Leben darin zu spüren. Dann zerdrückte er sie, und er meinte, das Knacken zwischen den Fingerkuppen laut und deutlich zu hören.
Eines Morgens zerrte man ihn hoch, schubste ihn die Gänge entlang zu einem Duschraum, in dem etwa zwanzig Männer nackt in einer Reihe standen. Er hielt den Kopf gesenkt, wagte nur ab und an einen verstohlenen Blick. Der Mann vor ihm war mindestens fünfzig Jahre alt, Rücken und Brust waren übersät mit Blutergüssen, um die rechte Hand trug er einen schmuddeligen, blutgetränkten Lappen. Man rasierte ihnen die Köpfe, bewarf sie mit einem Puder und spritzte sie anschließend mit einem Schlauch ab. Zwischen den gebrüllten Befehlen der Schließer hörte er geflüsterte Fragen. »Transport?«, hörte er, »Zwischenlager?« und »Omsk? Molotow? Magadan?«.
In einem Nebenraum wurde Kleidung ausgegeben. Der Schließer musterte ihn, gab ihm Unterhose und Unterhemd, eine Wollhose, die zu kurz und zu weit war. Man reichte ihm einen Strick, den er durch die Schlaufen zog und vor dem Bauch verknotete. Das Hemd war an den Ellbogen mehrmals gestopft, die Jacke war schwer und schien neu zu sein. Die Schuhe, die man ihm hinstellte, waren ausgetreten und mindestens eine Nummer zu klein. Er stand auf, wollte zurück vor den Duschraum, wo er seine Schuhe ausgezogen hatte. Einer der Schließer schubste ihn zurück.
»Meine Schuhe«, sagte Ilja. »Meine Schuhe sind noch vor dem Duschraum.«
»Deine Schuhe«, schnauzte der Mann, »stehen da.« Er wies auf das viel zu kleine Paar.
Ilja steckte seine nackten Füße hinein und band sie zu. Damit würde er kaum gehen können.
»Du schaffst es sowieso nicht bis ins Lager«, sagte der Mann grinsend und ging davon.
An einem Tisch neben der Kleiderausgabe saß ein Beamter. Sie wurden einzeln aufgerufen. Er sah einen Jungen von höchstens fünfzehn Jahren, der von einem der Wachleute zum Tisch geschoben wurde. Seine Kopfhaut war von blutigem Schorf überzogen, seine Nase eingedrückt und schief. Er legte einen Unterarm schützend auf den Kopf, die andere Hand hielt er sich an den Mund und biss sich immer wieder in den Handballen, während er den Oberkörper vor- und zurückwiegte. Sein Blick wanderte ziellos durch den Raum.
Der Beamte verzog angewidert das Gesicht, zerriss das Papier, das er in Händen hielt, und schnauzte: »Was soll das? Schafft mir den Irren aus den Augen.«
Der Junge schrie zum Erbarmen, als sie ihn hinauszerrten.
Schließlich war er an der Reihe. »Nummer 1138, Ilja Wassiljewitsch Grenko«, rief der Mann.
Ilja bekam eine Karte ausgehändigt. Auf der Vorderseite stand »1138«. Auf der Rückseite waren Name und Geburtsdatum eingetragen.
In den Zeilen darunter stand:
Urteil vom 3. 06. 1948.
Vergehen nach § 58–3.
Strafmaß: 20 Jahre.
Er wankte zurück, lehnte sich an die Wand und starrte das Papier an.
Zwanzig Jahre!
Es hatte also einen Prozess gegeben.
Ohne ihn.
Zwanzig Jahre.
Nichts anderes konnte er sehen, nur diese kleine Zwanzig, die vor seinen Augen wuchs, sich in ein
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