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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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tanzend.
    Als die letzten Töne in ihm verklungen waren, begann er zu lachen, stieß schaukelnd den Rücken gegen die Wand und lachte hysterisch. Tränen liefen ihm übers Gesicht, und er wusste nicht, woher die Gewissheit kam, wusste nur, dass er mit der Musik versucht hatte, sie zu verscheuchen.
    Er würde nicht standhalten! Kurasch hatte ihn gedemütigt, und er hatte fortgewollt aus dem Büro, weg von dem Mann mit seinen selbstgefälligen Gebärden. Aber als sie ihn zurück in die Zelle brachten, wäre er am liebsten umgekehrt. Kurasch hatte mit ihm gesprochen. Nach all den zähen, ungezählten Tagen der Isolation war es trotz der Demütigung wie eine Erlösung gewesen, seinen eigenen Namen zu hören. Ilja Wassiljewitsch Grenko! Kurasch hatte ihn angesehen, ihn angesprochen. Ilja Wassiljewitsch Grenko. Es gab ihn.
    Nein, er würde nicht standhalten. Der Lachkrampf verlor sich in heftigem Schluchzen. Er ließ sich zur Seite kippen und weinte. Auch die Musik würde ihm verlorengehen. Die Befehle der Schließer auf dem Flur, das Schreien und Wehklagen aus den anderen Zellen mischten sich immer häufiger unter die phantasierten Klänge, zerrissen die Harmonie. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er den Verstand verlor.
    Er blickte zur Tür, in der sich erneut ein Schlüssel drehte. Der Eimer? Er stand mühsam auf.
    »Mitkommen!«, blaffte ein Schließer.
    Wieder stießen sie ihn den schmalen Gang entlang, aber diesmal in die andere Richtung. In einem kleinen nackten Raum, nicht viel größer als seine Zelle, stand ein Holztisch mit zwei Stühlen. Er schnappte nach Luft, als er an den Wänden Eisenketten und eingelassene Hand- und Fußfesseln sah. Die Luft in dem Raum schien völlig aufgebraucht. Wie in seiner Zelle roch es auch hier nach Exkrementen und Urin, aber er nahm noch etwas anderes wahr. Den metallischen Geruch von Blut.
    Er hörte den fiependen Ruf der Lautsprecher. Sie hatten den Zellengang nicht verlassen. Dies musste der Raum sein, aus dem die furchteinflößenden Schreie kamen. Er machte einen Schritt zurück, stieß an die Brust des Schließers und wurde zu einem der Stühle geschoben. Erst als er saß, bemerkte er, dass die vorderen Beine des Stuhls kürzer waren. Er war gezwungen, die Waden und Oberschenkel fest anzuspannen, wenn er nicht hinunterrutschen wollte. Sein Körper war geschwächt, die Beine begannen schon nach kurzer Zeit zu vibrieren. Als er sich hinstellen wollte, drückte einer der Schließer ihn zurück auf den Stuhl.
    Er wusste nicht, wie lange er so saß. Eine Stunde. Zwei. Das Vibrieren wurde zum Zittern, der Rücken schmerzte. Krämpfe in Waden und Oberschenkeln ließen ihn immer wieder aufschreien. Plötzlich warf ein Mann in einem abgeschabten Straßenanzug eine Akte auf den Tisch und setzte sich auf den Stuhl gegenüber. Ilja hatte ihn nicht kommen hören, wusste nicht, ob er schon länger im Raum war.
    »Der Genosse Antip Petrowitsch Kurasch ist ungehalten und hat mich gebeten, es noch einmal mit Ihnen zu versuchen.« Das flache, runde Gesicht verriet die mongolische Abstammung. Er lächelte und legte schiefstehende gelbe Zähne frei. »Sie sollten das zu schätzen wissen, Ilja Wassiljewitsch Grenko, so viel Mühe macht sich der Genosse nicht mit jedem.«
    Ilja lief vor Anstrengung, sich auf dem Stuhl zu halten, der Schweiß über Rücken und Gesicht. Er nahm allen Mut zusammen. »Ich möchte einen Anwalt sprechen.« Er streckte die Hände vor und stützte sich an der Tischkante ab.
    »Einen Anwalt«, lächelte der Mann. »Ein Anwalt steht Ihnen nur beim Prozess zu.« Er sah auf Iljas Hände und machte mit dem rechten Zeigefinger eine winkende Aufwärtsbewegung. Der Schließer schlug mit einem dünnen Rohrstock zu. Ilja schrie auf und zog seine Hände zurück.
    Der Vernehmungsbeamte tat, als sei er intensiv mit den Papieren beschäftigt. Er legte die Partitur, die Teil der Akte war, zur Seite, nahm das vorbereitete Geständnis und legte es dazu. Er blätterte und schob dann einen Briefbogen über den Tisch, den Ilja kannte. Es war der Antrag, mit dem er gebeten hatte, seine Familie mit nach Wien zu nehmen.
    »Ich gehe mal davon aus, dass Sie dieses Schreiben kennen«, sagte der Mann.
    Ilja nickte. »Genosse Vernehmungsbeamter«, brachte er angestrengt hervor. »Ich kann das erklären. Es sollte eine Überraschung für meine Frau sein. Sie müssen mir glauben. Sehen Sie, wenn ich das Land hätte verlassen wollen, dann hätte ich doch keinen Antrag gestellt. Dann wäre ich

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