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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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gerufen?«
    Sie lachte. »Allah oder der Scheitan, aber längst.«
    »Dann möchte ich sogar gern nach Chiwa.«
    »Gut!« Sie nickte verstehend und gab Gas.
     Wie naiv ich doch war, dachte Nasreddin, als sie vor dem Tor der Stadt das Auto abstellten und er wie damals auch drei große Reiseomnibusse gewahrte, die im Schatten der Lehmmauer parkten. Und auch diese Mauer betrachtete er mit anderen Augen. Wie habe ich jemals annehmen können, daß sie noch zu etwas nütze sei, so zerfurcht und abgebröckelt, wie sie ist. »Komm, Nasreddin«, sagte die Frau und nahm ihn bei der Hand, »ich möchte dich heimführen nach Chiwa…« Sie biß sich auf die Lippen, als hätte sie etwas Dummes gesagt, sah ihn von der Seite her an. »Oder würdest du lieber in Aksehir sein?« fragte sie vorsichtig.
     Er überlegte sichtlich die Antwort. »Wenn es so ist, wie es ist«, sagte er dann, »wenn so Allahs Wille war, dann ist nicht nur der Chan… Sie alle, die ich kannte, meine Freunde, na, eben alle… Hier habe ich neue, könnte ich neue haben…«
     Er dachte dabei ein wenig wehmütig an Gusal, die er als erste nach der Entlassung aus dem Krankenhaus aufsuchen wollte.
    Der Frau lag nichts an einer gedämpften Stimmung. »Ich weiß«, und sie hob in einer lustigen Geste den Zeigefinger, »da kam zu jeder Besuchszeit eine Schwarze. Schon eine halbe Stunde, bevor sie aufmachten, wartete sie. Nasreddin, Nasreddin!«
     Er lächelte ein wenig verlegen, bestätigte dann jedoch: »Ja, sie auch!«
     »Sieh«, erläuterte sie, »das kennst du nicht. Kalta-Minor. Muhammed-Amin-Chan wollte von seiner Spitze aus bis nach Buchara sehen. Achtzehnhundertfünfundfünfzig ist er gefallen. Dort drüben die Medrese Allakuli-Chans ist erst hundert Jahre alt. Und dort, das Minarett Islam Chodscha gar erst neunzehnhundertacht erbaut worden. Hast du dein Chiwa überhaupt wiedererkannt?«
     »Nun, ich war – ein wenig verwirrt. Aber dort, das Mausoleum Pachlawan-Machmuds kenne ich!« Das sagte er mit Nachdruck und Stolz.
     Sie trafen auf eine Gruppe von Touristen, die andächtig einem etwas korpulenten, etwas schmuddligen, ein wenig unrasierten Mann zuhörten, der gestenreich und lautstark etwas zu erklären schien.
    Gerade als die beiden näher traten, flog ein Gelächter auf.
     Und da sprang plötzlich der Mann von dem Stein, drängte sich durch die Gruppe und rief: »Ist das möglich! Anora, mein Leitstern! Ich grüße dich in Chiwa!« Und er zog den großen verbeulten und durchgeschwitzten Hut. »Graben Sie wieder?« Die Frage klang erwartungsvoll.
     Die Frau schüttelte lachend den Kopf. »Ein kurzer Besuch nur«, sagte sie. »Aber lassen Sie sich nicht aufhalten, Ihre Kunden werden ungeduldig!«
    Der Mann winkte verstohlen ab. »Wenn Sie etwas haben, Sie wissen, Jussuf…« Und er ging nun doch zurück zu der Gruppe. »Selbstverständlich!« rief die Frau ihm hinterher. »Alles Gute!«

     Und alsbald hörten sie »… und da stürzte man den jungen hoffnungsvollen Architekten dort von dem Minarett – vor die Füße der gaffenden Menge…«
     Nasreddin hörte eine Weile aufmerksam zu, einigemal schüttelte er mißbilligend den Kopf.
     »Das ist Jussuf, der originellste Fremdenführer von Chiwa«, raunte die Frau.
     Nasreddin wiegte zweifelnd den Kopf. »Originell vielleicht, aber ein Lügenbold!«
    Die Frau lächelte. »Er kennt auch genau die historischen Zusammenhänge, aber er hat eine große Phantasie – und die meisten Leute danken es ihm. Morgen haben sie es ohnehin vergessen…«
     Man sah Nasreddin an, daß ihn das interessierte. »So ein Fremdenführer, der Geschichten erzählt, das könnte mir gefallen… Ich kenne Geschichten!« Und er wiegte abermals den Kopf.
     Dann schritten sie eine Weile stumm, warfen sich verstehende Blicke zu, wenn sie an einem Bau vorbeikamen, den er kannte. Sie passierten die Karawanserei, und Nasreddin dachte daran, wie ängstlich er sie mit seinem Esel in Gegenrichtung durcheilt hatte.
     Dann zeigte er auf den Platz, auf dem er seine Früchte verkauft hatte. Längst stand dort der Tisch eines anderen Händlers, und der pries kindskopfgroße Granatäpfel an.
     Sanft zog die Frau Nasreddin durch das Gewimmel des Basars, den er jetzt mit ganz anderen Augen sah. Er gewahrte Produkte, die es zu Zeiten des Timur nie und nimmer gegeben hatte, dazwischen aber auch durchaus Wohlbekanntes. Die Touristen – »Ausländer«, wie sie die Frau bezeichnete – kamen ihm nicht mehr gar so merkwürdig vor,

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