Der Geist des Nasredin Effendi
erneut mit der Pla ne. Mascha, die Kochkünstlerin, nahm übel, folgte man nicht sofort ihrem Ruf, um ihre Salate, Suppen und Hauptgerichte in der gebote nen Frische zu genießen. Aber nicht nur des guten Essens wegen nahm Anora diese Tischrunden gern wahr. Sie boten die einzige Ge legenheit, sich in der Gruppe zu verständigen, sich über den Stand der Freilegung der Gräber auszutauschen, gegebenenfalls umzudis ponieren. Und überhaupt, sie war gern mit diesen Menschen zu sammen.
Als sich Anora behutsam, um nicht weitere Mauerteile einzurei ßen, aus dem Gewölbe hinausgestemmt hatte, mußte sie die Augen schließen. Blendende Helle überfiel sie, die das Sehvermögen nahm. Durch Blinzeln und Überschatten mit der Hand versuchte sie sich anzupassen. Wladimir Petrowitsch erging es ähnlich.
In dieser spätmittäglichen Stunde stand die Sonne hoch im Süden, schien voll auf Chiwa, das flach in der braunen Ebene vor ihnen lag. An den Keramikplatten des Islam-Chodscha-Minaretts brachen sich die Strahlen, tausend Reflexe spielten. Es war, als wänden und reck ten sich die schlanken Türme noch höher, so walkte die flirrende Luft ihre Konturen.
Anora streifte die kleine Weste ab, schüttelte sie. Schuttbröckchen rieselten. Der Hitzegriff machte Anora schaudern. Sie spürte auch Muskelschmerz nach drei Stunden intensiven Meißelns in ge krümmter Stellung. Sie legte die Hand in den Rücken und dehnte sich. Manchmal sind sie recht konservativ, meine Gastgeber. Sie dachte wehmütig an das elektrische Schlagwerk, das zu ihrem Gepäck gehörte und das anzuwenden ihr Boderow untersagt hatte.
Anora trat an den hochgebundenen Wasserschlauch, streifte auch noch die Bluse ab, stand im ärmellosen Nicki und ließ sich genüßlich Wasser über den Nacken laufen. Und da rief jemand hinter ihr: »Vergessen Sie nicht, wo Sie sich befinden, werte Kollegin! «
Sie sah prustend, gebückt, unter ihrem rechten Arm hervor, um zu erkunden, wer sie da rüffelte.
Alischer Boderows Lächeln stand im Gegensatz zum strengen In halt seiner Worte. Und Anora entging nicht, daß er sie durchaus wohlgefällig musterte. Sie mochte ihn, diesen meist finster blicken den eckigen Usbeken, der den Leiter niemals hervorkehrte, aber des sen Wort unbedingt galt. Vielleicht machten das die stets gewichtig gefurchte Stirn oder die ausdrucksvollen Augen, durch deren dun kelbraune Iris im Weiß das sonnengebräunte Gesicht betont wurde.
» Jeu, jeu«, Anora lächelte zurück, wischte mit nassem Arm über das Gesicht und schlüpfte in die Bluse.
»Na, wie sieht’s bei Ihnen aus?« rief Ilja Iljitsch, kaum daß Anora die Stiege zum Wagen erklommen und den Kopf durch den Bänder vorhang gesteckt hatte.
Hättet ihr mir meinen Hammer erlaubt, wäre ich fertig. Laut ant wortete sie: »Nicht vor morgen vormittag. Und bei Ihnen? «
»Wir heben vielleicht nach dem Essen den Deckel. «
» Oh «, Anora setzte sich auf die grobe Bank und rutschte in die Mitte. »Gratuliere! «
Ilja hatte Staub in den schmalen Brauen, und auf seiner Stirn standen winzige Schweißperlen.
Unmittelbar nach Anora war Malinkin eingetreten. Der Wagen bebte, als sich der schwere Mann auf den Hocker wuchtete. »Na al so«, und es klang erleichtert. »Hoffentlich lohnt es.« Aus den drei Worten klang Ungeduld. Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.
Sieh an, dachte Anora, selbst die am ruhigsten scheinen, erwischt es. An manchen Tagen sprach Stepan Borisowitsch Malinkin nicht mehr als drei Worte. »Hoffentlich«, echote sie und verzog zweifelnd den Mund. Keiner in der kleinen Runde konnte sich vorstellen, daß Sensationelles auf sie zukommen würde, nüchtern betrachtet. Aber wer von den Archäologen, der es mit Leib und Seele ist, kann in sol cher Lage schon nüchtern betrachten! Freilich, Chiwa ist abgegrast. Trotzdem hatte Anora nicht eine Sekunde gezögert, als Boderow te legrafisch angefragt hatte, ob sie interessiert sei, das durch das jüngs te Erdbeben entdeckte Gräberfeld bei Chiwa mit zu untersuchen. Und sie hatte nicht nur deshalb spontan zugestimmt, weil es außer ordentlich schmeichelte, von der Koryphäe Boderow für ein solches Unternehmen als würdig genug befunden zu werden.
Es gab für Anora zwei Gründe, alles stehen- und liegenzulassen und anzunehmen: Das alte Chiwa hatte es ihr angetan, und sie arbei tete gern in sowjetischen Gruppen. Sie hätte es nicht zu formulieren vermocht: Die Atmosphäre beeindruckte sie immer
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