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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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dabei auf den Manneskopf fiel, kam ihr der Einfall blitzartig. Und sie han delte sofort. Behend sprang sie zum Eingang, schlug die Matte

zurück und lauschte in die Dunkelheit. In der Ferne heulte ein Hund. Zikaden und Grillen konzertierten.
    Anora ließ die Matte fallen, ging konzentriert vor. Den Scheinwer fer richtete sie voll auf den Kopf, verbrannte sich dabei am heißen Gehäuse fast die Finger. Dann wählte sie aus dem auf einem Tisch chen säuberlich gelagerten Werkzeug eine riesige Nadel mit scharf kantigem Öhr. Noch einmal blickte sie auf und zum Eingang wie ein Junge, der im nächsten Augenblick beim grantigen Nachbarn eine Scheibe einschießen wird. Dann beugte sie sich über das Haupt, kratzte mit der Nadelspitze einen viertel Quadratzentimeter auf der Halsschnittfläche nahe dem Nackenwirbel schwärzlich getrocknete Substanz ab, die bröselig rieselte.
      Als die so entstandene kleine kaffeebräunliche Vertiefung frei lag, atmete Anora auf. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Sie sah abermals zur Uhr, lauschte einen kleinen Augenblick nach draußen, dann packte sie die Nadel mit beiden Händen, spannte die Armmus keln bis hinauf zu den Schultern und drückte langsam den Stahl Millimeter um Millimeter in den Kopf. Sie wandte so viel Kraft auf, daß sie einen Widerstand der Substanz eigentlich nicht verspürte. Nachdem die Nadel etwa fünf Zentimeter eingestochen war, hielt Anora inne, zog dann das Werkzeug mit einem Ruck heraus, ent krampfte sich. Sie wiederholte den Vorgang, aber jetzt mit dem Öhr voran in den vordem geschaffenen Kanal. Und sie drückte kräftig nach, als sie Widerstand verspürte. Dann versuchte sie, die Nadel zu drehen. Als es nicht gehen wollte, nahm sie – beinahe hektisch jetzt – eine Kombinationszange auf, setzte diese an, drehte die Nadel vor sichtig um die Längsachse und zog sie langsam, ohne den Griff der Zange zu lockern, heraus.
      Vorsichtig hob Anora die Nadel gegen das Licht. Die Zange warf sie achtlos hinter sich. Das Öhr war angefüllt mit einer hellbraunen Substanz. Anora seufzte befriedigt. Schnell breitete sie ihr Taschen tuch aus, wickelte das Werkzeug sorgfältig hinein. Dann nahm sie mit den Fingerspitzen Krümel auf und rieb sie in die Öffnung, die sie dem Kopf beigebracht hatte.
      Anora hatte kaum die Zeltplane über alles gebreitet, als Isakow ein trat. Die Matte hatte er mit Schwung zur Seite geschleudert, so daß Anora ordentlich zusammenfuhr.
    Die Frau schüttelte unernst mißbilligend den Kopf, worauf Isakow wie beschwörend die Hände breitete und so tat, als beschwichtige er die aufgewirbelten Staubpartikel.
      Wie Wladimir Petrowitsch Isakow zu der Gruppe gekommen war, wußte Anora nicht zu sagen. Es schien, als nähme er im Leben nicht viel ernst, nicht den Beruf und am wenigsten sich selbst. Manchmal konnte er einem mit seinen Kalauern, seinen zugegeben meist tref fenden, schlagfertigen und schnoddrigen Gleichnissen schon auf die Nerven gehen. Aber er sorgte auch dann, wenn man erschöpft war oder auch einmal verbiestert, für Lachen und Freundlichkeit, so daß jeder ihn gern mochte und bereit war, ihm einiges nachzusehen. Nur manchmal, aus einer Bemerkung, aus seinem Geschick, mit dem er Handgriffe ausführte, konnte man erahnen, daß mehr in ihm steckte als scharfsinnige Witzelei und Oberflächliches. »Na – sind Sie um gegangen?« fragte er und deutete mit dem Kopf auf das Zugedeckte.
      Ein klein wenig fühlte Anora sich ertappt. Woher wußte er… Un sinn, er konnte gar nichts wissen! Sie sah ihn von unten her an und verstaute sorgfältig das Taschentuch in ihrem Anzug.
      Isakow schlug – nicht besonders behutsam – eine Ecke der Plane Zurück. »In meinem nächsten Leben werde ich Pascha«, bemerkte er, » aber vorsichtshalber mit Ersatzkopf.« Er faßte sich an den Hals, als wolle er sich versichern, daß noch alles beieinander war.
     » Als Frau war es aber offensichtlich auch nicht ganz ungefährlich«, sagte Anora.
    »Oh, wenn sie lieb und brav war… «
     » Ach!« In Anora glomm ein wenig Stolz. Bedeutete Isakows Be merkung nicht, daß er sich ihrer Ansicht über die Begebenheit, auf die der Fund hindeutete, anschloß?
    Im Streit während der letzten Tage hatte er sich zurückgehalten, auch dann, als Anora in ihrer »Liebhabertheorie« nur noch von Won ein wenig unterstützt wurde. Malinkin hatte in der Meyerschen Bi bel, wie sie ein für Mittelasien geltendes archäologisches Standard werk nannten, gefunden, daß

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