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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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einige aus dem Osten eingewanderte und eingebürgerte Clane heimlich vorislamische Bräuche pflegten, »… unter anderem Lieblingstiere oder auch Leibsklaven gängige Grabbeilagen gewesen seien«. Warum sollte man sich nicht dieser einfachen Deutung anschließen, die den Vorzug hatte, alles zu erklä ren, anstatt zu spekulieren?
      »Wenn sie also kuschte! Eine erstaunlich patriarchalische Einstel lung eines Bürgers dieses Landes«, spottete sie.
      Isakow lächelte, wobei sich die etwas ledern wirkende, wenig durch Polster unterlagerte Gesichtshaut in hundert Fältchen legte. »Leider wäre sie unerheblich«, antwortete er. »Was Scheidungen anbelangt, stehen wir in der Welt ziemlich weit vom, und meist reichen die Frauen die Klagen ein. «
     »Ein Glück, daß sie es dürfen, Ihre Frauen!« Anora begann am Disput Gefallen zu finden. Ja, in ihr rumorte ständig Empörung, die sie zu Hause nicht zeigte, die sie hier aber nicht zurückhalten mußte, Empörung, weil ihre Geschlechtsgenossinnen jahrhundertelang ent würdigt, unterdrückt waren und daheim es in gewisser Weise noch sind. Für diesen Usbeken da, der mit dem Neuen in diesem Land aufwuchs, muß es selbstverständlich sein, daß er mit Frauen in der Öffentlichkeit an einem Tisch sitzt, neben ihnen arbeitet. In diesem Augenblick dachte Anora nicht an islamische Rudimente, vor allem dort, wo in den Familien Rücksicht auf die ältere Generation ge nommen wurde. Das hielt sie für vernachlässigbar gegenüber diesem Aufbruch der Usbekin im Alltag.
    »Nun, immerhin haben sich die Frauen in Ihrer Heimat widersetzt, als der Schleier erneut eingeführt werden sollte. Andernfalls hätte ich es sehr bedauerlich gefunden«, fügte er heiter-anzüglich hinzu und musterte sein Gegenüber von oben bis unten.
      Anora verzog den Mund. »Wieso bedauerlich? Sie hätten gar keine Urteilsmöglichkeit, wenn ich wie ein großer Kohlensack vor Ihnen stünde«, gab sie zurück. »Mögen Sie?« Sie riß einen Teil der Wein traube ab und hielt sie Isakow hin. »Schöne Wache!« wünschte sie mit Spott.
      Isakow nahm überrascht die Frucht. »Schade«, sagte er dann, und es klang echt, ohne daß er deutlich machte, was er eigentlich bedauer te. »Gute Nacht. «
      Anora stand mit ihm zugewandtem Gesicht am Eingang. Unwill kürlich lachte sie auf. Isakow hatte die Arme leicht abgespreizt. Sein Schatten floß über das Kuppelgewölbe wie ein übergroßes schwarzes Gespenst, das sich über die Grabstätte beugt.
      Doch dann wünschte sich Anora in ihr karges Hotelzimmer, sah nicht mehr das wegen ihres scheinbar unmotivierten Lachens ver dutzte Gesicht Isakows. Sie ließ – bereits draußen – auch ziemlich heftig die Matte fallen, mußte dann doch ungeduldig etliche Sekun den verweilen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hat ten.
      Sie kam nur langsam voran, bedacht, das kleine Taschentuchknäu el, das sie mit der Linken umfaßt hielt, die sie außerdem noch in die Bluse geschoben hatte, nicht zu bewegen oder gar zu verlieren.
      Obwohl Anora es sehr eilig hatte, schlug sie einen Umweg ein. Ü ber den Basar, vor allem aber durch die alte Karawanserei zu gehen war ihr doch zu gruselig, auch wenn sie nicht zu sagen gewußt hät te, warum.
    Im Stadtgebiet kam sie schneller voran. Laut hallten ihre eiligen Schritte auf dem grobsteinigen Pflaster. Kein Mensch begegnete ihr, nur Fledermäuse und Katzen.
      Sie betrat leise die als Herberge hergerichtete Medrese Allakuli Chans. Die Etashnaja nickte hinter der stark abgeschirmten Lampe. Anora hätte wetten können, daß sie bei der Herausgabe des Zimmer schlüssels nicht richtig wach geworden war.
      In der dürftig eingerichteten Kemenate verhielt Anora nur einen Augenblick. Obwohl sie durch den eiligen Lauf in Hitze geraten war und die stehende, durch die Tageswärme aufgeheizte Luft aus dem Zimmer gleichsam eine Sauna machte, ging sie zielgerichtet vor. Sie streifte lediglich Schuhe und Bluse ab, letztere, ohne ihre Beute aus der Hand zu lassen. Dann erst breitete sie das Taschentuch auf den Tisch. Rasch vergewisserte sie sich, daß die braune Substanz noch das Öhr der Nadel verstopfte.
      Anora entnahm dem altersschwachen Spind ihren Koffer, legte vor sichtig den kleinen Elektromeißel – den sie nicht benutzen durfte – und das Mikroskop zur Seite, um an ihre Reagenzien zu gelangen. Sie griff eine Ampulle mit Mumiglobulin, öffnete sie fachmännisch rasch, suchte ein Behältnis, überdachte, daß das

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